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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einen Augenblick später standen wir auf der Straße, wo man gleichfalls vor uns das Weite suchte. Wir gingen zum Auto. Nach der Stickigkeit des verräucherten Saales wirkte die klare, frostige Luft auf mich wie Äther – mir drehte sich der Kopf, ich war plötzlich todmüde. Der Chauffeur saß, reglos wie zuvor, unter einer dicken Schicht Schnee auf dem Vordersitz. Ich öffnete die Tür zum Verschlag und wandte mich um.
    »Wo ist eigentlich Barbolin?« fragte ich.
    »Kommt gleich«, sagte Sherbunow grinsend, »hat noch was zu erledigen.«
    Ich kroch ins Auto, ließ mich auf den Sitz fallen und schlief augenblicklich ein.
    Geweckt wurde ich durch das Kreischen einer Frau, und ich sah Barbolin aus der Seitenstraße kommen, die auf Bilderbuchart strampelnde Jungfer in Spitzenhöschen und verrutschter Rattenschwanzperücke auf den Armen.
    »Rück ein Stück, Genosse«, sagte Sherbunow zu mir, als er in den Verschlag gekrochen kam, »wir kriegen Verstärkung.«
    Ich rückte nach außen. Sherbunow beugte sich zu mir und sagte mit überraschender Wärme in der Stimme:
    »Ich hab dich nicht gleich verstanden, Petka, hab dir nicht ins Herz geschaut. Du bist in Ordnung, hast eine feine Rede gehalten.«
    Ich brummte etwas und schlummerte wieder ein.
    Im Halbschlaf hörte ich die Frau kichern und die Bremsen quietschen, hörte Sherbunow finster fluchen und Barbolin zischen wie eine Schlange – anscheinend stritten sie sich um das arme Ding. Dann kam das Auto zum Stehen. Ich hob den Kopf und sah das verschwommene, unwirkliche Gesicht Sherbunows vor mir.
    »Schlaf nur, Petka«, sprach das Gesicht mit hallender Stimme, »wir steigen hier aus. Wir haben noch was mit dem Paten zu bereden. Iwan fährt dich nach Hause.«
    Ich äugte aus dem Fenster. Wir standen auf dem Twerskoi-Boulevard, vor dem Stadtpolizeipräsidium. Sachte und in großen Flocken fiel der Schnee. Barbolin und die bibbernde halbnackte Frau standen schon draußen auf der Straße. Sherbunow drückte mir die Hand und stieg aus. Das Auto fuhr wieder los.
    Mit einemmal fühlte ich heftig, wie einsam und schutzlos ich war auf dieser gefrorenen Welt, deren Bewohner es darauf abgesehen hatten, mich in die Gorochowaja zu bringen oder mir die Seele mit Hexensprüchen zu verdunkeln. Gleich morgen früh, dachte ich, werd ich mir eine Kugel in die Stirn jagen. Das letzte, was ich vor mir sah, ehe ich endgültig in die schwarze Grube der Besinnungslosigkeit hinabfuhr, war das schneebedeckte Gitter der Straßenbegrenzung – während das Auto wendete, erschien es ganz dicht vor dem Fenster.

2
    Genaugenommen war das Gitter nicht vor, sondern im Fenster, noch genauer: in der kleinen Luke, durch die ein schmales Bündel Sonnenstrahlen mir gerade ins Gesicht fiel. Ich wollte beiseite rücken, was mir aber nicht gelang – bei dem Versuch, mich vom Fußboden abzustemmen, um mich vom Bauch auf den Rücken zu drehen, stellte sich heraus, daß meine Arme gefesselt waren. Ich steckte in etwas, das wie ein Leichengewand aussah und dessen lange Ärmel auf dem Rücken zusammenhingen – wenn ich mich nicht irre, nennt man das eine Zwangsjacke.
    Mir fiel es nicht sonderlich schwer zu erraten, was geschehen war – etwas an meinem Verhalten hatte anscheinend den Argwohn der Matrosen geweckt, und nachdem ich im Auto eingeschlafen war, hatten sie mich zur Tscheka gefahren. Ich krümmte meinen Körper so, daß ich auf die Knie und sodann an der Wand zu sitzen kam. Meine Zelle schaute recht merkwürdig aus. Weit oben unter der Decke war das vergitterte Fensterchen, durch das der Sonnenstrahl hereinfiel, welcher mich geweckt hatte. Wände, Tür, Fußboden und Decke waren mit einer dicken, weichen Polsterung versehen, so daß ein romantischer Selbstmord im Geiste Dumas' (»noch einen Schritt, Mylord, und ich schlage mir den Schädel an der Wand ein«) nicht in Frage kam. Offenbar hatten die Tschekisten solcherart Zellen für besonders respektable Gäste hergerichtet – ein Gedanke, der mir, wie ich zugeben muß, einen kurzen Moment schmeichelte.
    Es verstrichen einige Minuten, in denen ich an die Wand starrte und mir die erschreckenden Details des vorangegangenen Tages ins Gedächtnis zurückholte, dann wurde die Tür aufgerissen.
    Sherbunow und Barbolin standen auf der Schwelle – doch mein Gott, in welchem Aufzug! Sie trugen weiße Kittel, bei Barbolin schaute sogar ein echtes Stethoskop aus der Tasche hervor. Das war nun weit mehr, als ich fassen konnte; meiner Brust entrang sich ein

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