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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sein Tagebuch: ›Sechster Juni. Gegen die Weißen vorgerückt.‹«
    »Tschapajew hat nie Tagebuch geführt«, warf ich ein.
    »›Siebter Juni. Von den Weißen zurückgeschlagen worden. Achter Juni. Der Förster ist gekommen und hat uns aus der Schonung gejagt.‹«
    »Ach so«, sagte ich, »damit ist wohl Baron Jungern gemeint. Aber gekommen ist der im entscheidenden Moment leider nicht. Und Förster ist er auch nicht gewesen, obwohl er es als Kind werden wollte. Meine Herren, ich finde das alles sehr merkwürdig. Sie sind ganz gut unterrichtet, aber ich kann mir nicht helfen, da scheint einer, der weiß, wie die Dinge wirklich gelaufen sind, die Wahrheit auf groteskeste Weise verdrehen zu wollen. Mir ist nur nicht klar, was er damit bezweckt.«
    Eine Weile waren alle still. Ich vertiefte mich in meine Arbeit und dachte an das bevorstehende Gespräch mit Professor Kanaschnikow. Sein Vorgehen in letzter Zeit erschien mir alles andere als logisch. Maria war entlassen worden – eine Woche nachdem er mir die Aristoteles-Büste auf den Kopf gehauen hatte. Wolodin hingegen (ein normalerer Mensch war mir im Leben noch nicht begegnet) hatte erst vor Tagen eine neue Tablettenkur verschrieben bekommen. Auf keinen Fall durfte ich den Fehler machen, mir vorher irgendwelche Antworten zurechtzulegen, denn es konnte sein, daß er keine der erwarteten Fragen stellen und ich mit meinen vorschnell präsentierten Antworten Unausgegorenes preisgeben würde – überflüssigerweise. Kurz: Man konnte eigentlich nur auf das Glück und den Zufall hoffen.
    »Gut«, nahm Wolodin das Gespräch wieder auf, »dann nennen Sie doch mal ein Beispiel, bei dem die Wahrheit verdreht worden ist. Und erzählen Sie, wie es wirklich war.«
    »Was genau würde Sie denn interessieren?« fragte ich. »Welche der von Ihnen genannten Episoden, meine ich?«
    »Mir egal. Oder nehmen wir getrost etwas anderes. Ich wüßte zum Beispiel einen, da ließe sich beim besten Willen nichts verdrehen. Tschapajew kriegt von Kotowski aus Paris roten Kaviar und Kognak geschickt. Tschapajew schreibt ihm zurück: ›Lieber Kotowski, vielen Dank für das Paket, den Fusel haben wir niedergemacht, obwohl er nach Fliegenleim schmeckte, aber die Marmelade mußten wir wegschmeißen, die stank zu sehr nach Fisch.‹«
    Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
    »Nie im Leben hat Kotowski ein Paket aus Paris geschickt. Aber ganz aus der Luft gegriffen ist die Geschichte nicht. Einmal im Restaurant haben wir tatsächlich Kognak getrunken und roten Kaviar gegessen – ich weiß, das klingt blöd, aber es gab keinen schwarzen. Unsere Unterhaltung drehte sich um das christliche Paradigma, weswegen wir auch die entsprechende Terminologie im Munde führten. Tschapajew kommentierte eine Stelle bei Swedenborg, wo er beschreibt, wie ein Strahl des Himmelslichts auf den Höllengrund fällt und den dort vegetierenden Seelen wie eine übelriechende Pfütze erscheint. Ich deutete es so, daß das Licht selbst sich dergestalt verwandelt haben konnte; Tschapajew hingegen war der Meinung, daß sich die Natur des Lichts nicht verändern könne und alles hänge vom Subjekt der Wahrnehmung ab. Er sagte sinngemäß, keine Macht sei imstande, eine sündige Seele ins Paradies zu befördern, insofern ihr selbst nicht daran gelegen sei. Das wollte mir nicht einleuchten, und da meinte Tschapajew, der Kaviar, den ich gerade aß, würde Furmanows Webern gewiß auch nur wie eine nach Fisch stinkende Marmelade vorkommen.«
    »Aha«, sagte Wolodin und war auf einmal merkwürdig blaß.
    Ich hatte eine Idee.
    »Woher, sagten Sie noch mal, soll der Kognak geschickt worden sein?«
    Wolodin gab keine Anwort.
    »Was macht das für einen Unterschied?« fragte Serdjuk.
    »Keinen großen, nur komme ich anscheinend langsam dahinter, wer diesen ganzen Quatsch in die Welt gesetzt haben könnte. Das wäre zwar höchst seltsam und sähe ihm überhaupt nicht ähnlich, aber jede andere Erklärung wäre noch viel absurder.«
    »Ah, ich weiß auch noch einen«, sagte Serdjuk. »Also da kommt Tschapajew zu Anna, und die sitzt nackig in ihrem Zimmer …«
    »Könnte es sein, mein Verehrtester, daß Sie im Begriff sind, den Bogen zu überspannen?« unterbrach ich ihn.
    »Das hab doch nicht ich mir ausgedacht«, entgegnete Serdjuk dreist, während er den nächsten Kranich in die Ecke schmiß. »Also, er fragt sie: ›Anna, warum bist du denn nackig?‹ Darauf sie: ›Ich hab nichts anzuziehend Da macht er den Schrank auf und

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