Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
gibt's für uns nirgendwo
Mutter Erde trägt Steine im Bauch
Ohne dich, Vaterland, wäre ich froh …«
    sang eine gefühlig bebende Männerstimme aus dem Radiolautsprecher. Wolodin stand auf und drückte eine Taste. Die Musik brach ab. Serdjuk hob den Kopf.
    »Warum hast du ausgeschaltet?«
    »Ich kann diesen Grebenschtschikow nicht mehr hören. Der Mann hat Talent, aber immer dieses verschwiemelte Zeug. Das ist der blanke Buddhismus. Der kann sich gar nicht geradlinig ausdrücken. Jetzt eben zum Beispiel, das mit dem Vaterland. Soll ich dir sagen, woher er das hat? Da gab's eine chinesische Sekte, Weißer Lotos, die hatten das als Mantra: Das absolute Nichts – das Vaterland – die Mutter Erde – das Ungeborene. Das chiffriert er so lange, bis man's nicht mehr erkennt. Einfach zum Verrücktwerden.«
    Serdjuk zuckte die Schultern und arbeitete weiter. Während ich mein Plastilin weich knetete, sah ich zu, wie er mit flinken Fingern einen neuen Papierkranich faltete. Er tat es mit erstaunlichem Geschick, ohne hinzusehen. Der Fußboden des heilästhetischen Praktikums war mit Kranichen übersät; dabei hatten Sherbunow und Barbolin erst heute morgen einen ganzen Berg davon auf den Flur hinausgekehrt. Serdjuk schien es nicht zu kümmern, was mit seinen uniformen Kunstwerken passierte – wenn er mit Bleistift die laufende Nummer auf den Kranichflügel geschrieben hatte, schmiß er das Ding von sich und riß die nächste Seite aus dem Schulheft.
    »Wieviel hast du noch?« fragte Wolodin.
    »Bis zum Frühling dürfte ich es schaffen«, sagte Serdjuk und sah zu mir herüber. »Du, mir ist noch einer eingefallen.«
    »Erzähle.«
    »Also, Tschapajew und Petka sitzten da und saufen. Kommt ein Soldat rein und sagt: ›Die Weißen kommen!‹ Sagt Petka: ›Los, Tschapajew, wir verduften!‹ Tschapajew sitzt seelenruhig da, gießt noch mal ein und sagt: ›Komm, trink, Petka.‹ Sie trinken. Kommt der Soldat noch mal rein und sagt: ›Die Weißen kommen!‹ Tschapajew schenkt wieder ein: ›Komm, trink, Petka.‹ Kommt der Soldat wieder rein und sagt: ›Die Weißen sind schon draußen vorm Haus.‹ Fragt Tschapajew den Petka: ›Kannst du mich noch erkennen?‹ – ›Nö‹, sagt Petka. ›Ich dich auch nicht‹, sagt Tschapajew. ›Klasse Tarnung, was, Petka?‹«
    Ich schnaufte verächtlich und nahm ein neues Stück Knete vom Tisch.
    »Den kannte ich schon, aber das Ende ging anders«, sagte Wolodin. »Die Weißen stürmen ins Zimmer, gucken sich um und sagen: ›Scheiße, schon wieder getürmt!‹«
    »Das kommt der Wahrheit schon näher«, bemerkte ich. »Obwohl es immer noch gesponnen ist. Von wegen, die Weißen! Ich frage mich, wie derartige Entstellungen möglich sind. Habt ihr noch mehr auf Lager?«
    »Ja, einen hab ich noch«, sagte Serdjuk. »Also, Tschapajew und Petka schwimmen durch den Ural. Tschapajew hat einen kleinen Koffer zwischen den Zähnen …«
    »Ogottogott«, stöhnte ich, »wer denkt sich bloß diesen Blödsinn aus.«
    »Jedenfalls ist er knapp vorm Ertrinken und läßt den Koffer trotzdem nicht los. Petka schreit: ›Wassili Iwanowitsch, schmeiß den Koffer weg, du säufst sonst ab!‹ Darauf Tschapajew: ›Spinnst du, Petka, das geht nicht, da sind die Generalstabskarten drin!‹ Wie sie drüben ankommen, sagt Petka: ›Na, Wassili Iwanowitsch, jetzt zeig doch mal die Pläne!‹ Tschapajew macht den Koffer auf, Petka guckt rein, alles voll Kartoffeln. ›Wo sind denn die Generalstabskarten?‹ – ›Das sind sie doch‹, sagt Tschapajew und nimmt in jede Hand eine Kartoffel. ›Das da sind wir. Und das die Weißen.‹«
    Wolodin lachte.
    »Das stimmt nun wirklich hinten und vorne nicht«, sagte ich. »Erstens wären Sie ein großer Glückspilz, Serdjuk, wenn Sie auch nur einmal in zehntausend Leben die Gelegenheit bekämen, durch den Ural zu schwimmen. Zweitens ist es mir ein absolutes Rätsel, was immerzu diese Weißen sollen. Ich denke, da hatte Dsershinski mit seinen Konsorten die Hand im Spiel. Drittens handelte es sich um keine Generalstabskarten, sondern um eine rein metaphorische Konstellation des Bewußtseins. Und außerdem waren es keine Kartoffeln, sondern Zwiebeln.«
    »Zwiebeln?«
    »Jawohl, Zwiebeln. Wobei ich wünschte, es wären Kartoffeln gewesen – aber das sind Erwägungen rein privater Natur.«
    Wolodin und Serdjuk wechselten einen vielsagenden Blick.
    »Und dieser Mensch will entlassen werden«, sagte Wolodin. »Ach, da fällt mir auch noch einer ein. Tschapajew schreibt in

Weitere Kostenlose Bücher