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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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über ihr nun ein futuristisch anmutendes Vordach aus Glas und Stahl. An ihm hing ein kleines Schild:
     
    ИВАН БЬIК
John Вull Рubis International
     
    Mehrere Fenster neben der Tür waren erleuchtet, die rosaroten Vorhänge dahinter halb heruntergelassen. Der schwermütige und doch etwas mechanisch wirkende Klang eines fremdartigen Instruments drang heraus.
    Ich zog die Tür auf. Dahinter lag ein kurzer Gang, der voller schwerer Pelze und Mäntel hing; an seinem Ende eine überraschend massive Stahltür. Ein Mann mit Verbrechergesicht erhob sich von seinem Schemel und eilte auf mich zu; er trug ein kanariengelbes Jackett mit goldenen Knöpfen und in der Hand eine seltsame Art Telefonhörer mit gekappter Leitung, das Schnurende nicht länger als ein Zoll. Ich hätte schwören können, daß er eben noch in diesen Hörer hineingesprochen hatte – vor Aufregung wippte er mit dem Fuß und hielt den Hörer verkehrt herum, das Schnurende nach oben. Diese kindliche Fähigkeit, zu spielen und dabei die Welt um sich her zu vergessen, die man bei einem Grobian wie ihm schwerlich vermutet hätte, war rührend und weckte in mir etwas wie Sympathie.
    »Eintritt nur für Klubmitglieder«, sagte er.
    »Hören Sie, ich bin erst vor kurzem mit zwei Bekannten hiergewesen, erinnern Sie sich nicht? Von denen haben Sie eins mit dem Gewehrkolben in den Bauch gekriegt.«
    Auf dem bösen Gesicht des kanariengelben Mannes malten sich Abscheu und Überdruß.
    »Sie erinnern sich?« hakte ich nach.
    »Allerdings«, sagte er. »Wir haben übrigens schon bezahlt.«
    »Um Geld geht's nicht«, erläuterte ich. »Ich möchte gern ein halbes Stündchen bei Ihnen reinschauen. Nicht länger, glauben Sie mir.«
    Mit gequältem Lächeln öffnete der Kanarienvogel die Stahltür, hinter der eine weinrote Samtportiere zum Vorschein kam; er schlug sie zurück, und ich trat in den schummrigen Saal.
    Auch hier hatte sich wenig verändert. Die Lokalität machte immer noch den Eindruck eines durchschnittlichen Mittelklasserestaurants, das einen gewissen Schick für sich in Anspruch nahm. An den kleinen, quadratischen Tischen saß in dichten Rauchschwaden ein recht buntes Publikum. Irgendwer schien Haschisch zu rauchen. Anstelle des Kronleuchters hing von der Decke ein großes, rundes, seltsames Etwas, das sich langsam drehte und eine Vielzahl blasser, kleiner Lichtreflexe, wie man sie aus Vollmondnächten kennt, durch den Saal wandern ließ. Auf mich achtete niemand; ich nahm an einem leeren Tischchen unweit des Eingangs Platz.
    Vorn im Saal gab es eine hellerleuchtete Bühne. Dort oben stand ein Mann mittleren Alters hinter einem kleinen Orgelmanual und sang. Ein schwarzer Rauschebart wucherte ihm im breiten, knochigen Gesicht, und seine Stimme klang gräßlich:
    Du sollst nicht töten? Laß ich die halt leben
Du sollst nicht lügen? Sag ich die Wahrheit eben
Du sollst nicht geizen? Mein letztes Hemd
geb ich mit Freuden her
Du sollst nicht stehlen? – Macht der's mir aber schwer!
    Das war der Refrain. Offensichtlich handelte das Lied von den christlichen Geboten, jedoch unter recht merkwürdigem Blickwinkel. Der Gesangsstil, den ich ebenso merkwürdig fand, schien den Anwesenden im Saal vertraut zu sein – jedesmal, wenn der Sänger an die rätselhafte Stelle »Macht der's mir aber schwer!« kam, brach unten im Saal tosender Beifall los, und der Sänger verbeugte sich dezent, während seine Riesenfinger weiter über die Tasten glitten.
    Mich beschlich ein tristes Gefühl. Ich hatte immer viel auf meine Fähigkeit gehalten, den neuesten Kunstströmungen etwas abgewinnen zu können und hinter der zugespitzten, schockierenden äußeren Form das Ewige und Konstante zu erkennen; hier aber war die Kluft zwischen dem, was ich kannte, und dem, was ich sah, unerhört groß. Freilich mochte es dafür eine simple Erklärung geben: Es hieß, daß Kotowski vor seiner Bekanntschaft mit Tschapajew eine fast kriminell zu nennende Vergangenheit gehabt hatte. Von daher war es nicht verwunderlich, wenn ich die Chiffren dieser obskuren Kultur nicht zu deuten wußte; sie hatten mich ja auch in der Irrenanstalt schon einmal in die Sackgasse geführt.
    Die Portiere am Eingang bewegte sich, der Mann im Kanariensakko schob sich herein, immer noch mit dem Telefonhörer in der Hand. Er schnipste mit den Fingern und deutete auf meinen Tisch. Wie aus dem Boden gewachsen stand ein Kellner im schwarzen Frack und mit Fliege vor mir und hielt mir eine in Leder gebundene

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