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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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so, wie ich ihn zum letztenmal gesehen hatte. Wieder Februar, Schneewehen und eine seltsam ins Tageslicht sickernde Finsternis. Auf den Bänken hockten reglose Weiblein, die knallbunt angezogene, in langwierige Schneewehengrabenkämpfe verwickelte Kinder hüteten; oben über dem schwarzen Geflecht der Drähte hing der Himmel fast bis auf die Erde durch.
    Einen Unterschied gab es allerdings, der mir auffiel, als ich am Ende des Boulevards angelangt war: Der Bronzepuschkin war weg. Wobei ich fand, daß die an seiner Stelle gähnende Leere das beste aller möglichen Denkmäler war. Auch der Platz, wo früher das Strastnoi-Kloster gestanden hatte, war leer – ein paar mickrige Bäume und einige geschmacklose Laternen konnten es schlecht verbergen.
    Ich setzte mich auf eine Bank, dem unsichtbaren Denkmal gegenüber, und rauchte eine Zigarette mit kleinem gelben Mundstück, die mir ein Offizier in Operettenuniform, der in der Nähe saß, liebenswürdigerweise angeboten hatte. Die Zigarette brannte so schnell herunter wie eine Bickford-Zündschnur und hinterließ einen leichten Salpetergeschmack.
    In meiner Tasche fanden sich einige zerknitterte Geldscheine – sie unterschieden sich wenig von jenen denkwürdigen regenbogenfarbigen Hundertrubelnoten aus der Zarenzeit, waren nur um einiges kleiner. Daß das Geld allenfalls für eine Mahlzeit in einem einfachen Restaurant reichen mochte, hatte ich noch auf dem Bahnhof festgestellt. Lange saß ich auf der Bank und überlegte, wie es weitergehen sollte. Es dämmerte bereits, und auf den Dächern der Häuser (von denen ich viele im Umkreis kannte) flammten riesige Leuchtschriften auf, irgendein verrücktes Kauderwelsch: SAMSUNG, OCA-CO A, OLBI. In dieser Stadt wußte ich entschieden keinen Ort, an dem ich hätte Zuflucht suchen können; ich fühlte mich wie ein Perser, der irrigerweise von Marathon nach Athen gerannt war.
    »Fi-ni-to. Juchhei!« entfuhr es mir leise, während ich auf die am Himmel brennenden Buchstaben starrte; ich dachte an den Marmeladow aus der »Spieldose«, der eine Frau gewesen war, und mußte lachen.
    Und plötzlich war mir klar, was ich zu tun hatte.
    Ich erhob mich von der Bank, überquerte die Straße, blieb auf der Bordsteinkante stehen und hob die Hand, um eines der vorüberfahrenden Autos anzuhalten. Beinahe umgehend bremste vor mir ein vibrierendes, tropfenförmiges Gefährt, das mit Schneematsch bis oben hin besudelt war. Ein bärtiger Herr saß am Steuer, der mich an den Grafen Tolstoi erinnerte – nur mit kürzerem Bart.
    »Wo soll's hingehen?« fragte der Herr.
    »Zur ›Spieldose‹. Das ist so ein Varieté«, begann ich zu erklären, »mir fällt die genaue Adresse nicht ein, wissen Sie. Muß ganz in der Nähe sein, den Boulevard hinunter und dann links. Nicht weit von Nikitskie Worota.«
    »Uliza Gerzena, oder was?«
    Ich hob die Schultern.
    »Von so einem Varieté hab ich noch nie was gehört«, sagte der bärtige Herr. »Hat wohl erst vor kurzem aufgemacht?«
    »I wo. Das gibt's schon lange.«
    »Zehntausend«, sagte der Herr. »Vorkasse.«
    Ich öffnete die vordere Tür und setzte mich neben den Chauffeur. Das Auto fuhr los. Ich schielte aus den Augenwinkeln nach dem Mann neben mir. Er trug ein sonderbares Jackett, dem Schnitt nach an einen Uniformrock erinnernd, wie ihn die bolschewistischen Führer mit Vorliebe getragen hatten, hier allerdings mit eher liberalem Karomuster.
    »Sie haben ein schönes Auto«, sagte ich.
    Meine Worte schienen ihm zu schmeicheln.
    »Ist schon alt«, antwortete er. »Nach dem Krieg, da hättest du ein besseres Auto als den ›Pobeda‹ nirgends auf der Welt finden können.«
    »Nach dem Krieg?« fragte ich zurück.
    »Na ja, nicht die ganze Zeit nach dem Krieg natürlich, aber die ersten fünf Jahre schon. Inzwischen ist alles den Bach runtergegangen. Deswegen sind die Kommunisten ja jetzt wieder am Ruder.«
    »Bloß keine Politik«, sagte ich, »da habe ich keinen blassen Schimmer und schmeiße alles durcheinander.«
    Er sah kurz zu mir herüber.
    »Das ist es ja, junger Mann, weswegen alles am Boden liegt, weil euereins keinen blassen Schimmer hat. Was heißt Politik anderes als die Frage, wie das Leben aussehen soll? Hätte jeder sich beizeiten Gedanken gemacht, wie Rußland zum Besseren zu bekehren wäre, müßte es jetzt nicht erst bekehrt werden. Das ist, mit Verlaub, die Dialektik.«
    »Und woran wollen Sie die aufhängen, Ihre Dialektik?« fragte ich.
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts«, sagte ich.

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