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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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deutschen Zahnpulverreklame.
    »Also dann«, brummelte der Herr im Kittel und warf den Hörer auf die Gabel.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich, während ich meinen Blick vom Plakat riß und ihm zuwandte.
    »Keine Ursache«, sagte er. »Da ich schon meine Gesprächserfahrungen mit Ihnen habe, stelle ich mich am besten gleich noch einmal vor: Professor Kanaschnikow, Timur Timurowitsch.«
    »Pjotr Pustota. Leider sehe ich mich außerstande, Ihnen die Hand zu geben.«
    »Muß auch nicht sein. Ach Pjotr, ach Pjotr. Wo sind wir da bloß hineingeraten.«
    Seine Augen ruhten freundlich und sogar ein wenig mitfühlend auf mir; das keilförmige Kinnbärtchen signalisierte den untadeligen Staatsdiener alter Schule, doch soviel wußte ich von den Winkelzügen der Tscheka, daß mein Mißtrauen sich nicht erschüttern ließ.
    »Halb so wild«, sagte ich. »Und wenn Sie die Frage schon so stellen: Ich bin ja nicht der einzige in dieser Lage.«
    »So? Wer denn noch?«
    Aha, dachte ich, es geht los.
    »Sie erwarten von mir irgendwelche Adressen und konspirativen Treffpunkte, nehme ich an? So leid es mir tut, da muß ich Sie enttäuschen. Ich bin in meinem Leben vor Menschen immer nur weggelaufen, und in diesem Kontext figurieren andere Menschen als bloße Kategorie, Sie verstehen?«
    »Natürlich«, sagte mein Gegenüber und notierte etwas auf einem Blatt Papier. »Ohne jeden Zweifel. Doch steckt in Ihren Worten ein Widerspruch. Sie sagen einerseits, es gebe Menschen, die seien in derselben Lage wie Sie; andererseits behaupten Sie, von diesen Leuten nichts zu wissen, da Sie immer nur vor ihnen weglaufen.«
    »Erlauben Sie«, erwiderte ich und schlug, nicht ohne mein Gleichgewicht zu gefährden, die Beine übereinander, »das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Je mehr ich versuche, die Gesellschaft anderer zu meiden, um so weniger gelingt mir das. Der Grund hierfür ist mir, nebenbei gesagt, erst neulich aufgegangen: Ich lief an der Isaak-Kathedrale vorbei, schaute zur Kuppel hinauf – die frostklare Nacht, die Sterne, Sie wissen schon – da wurde es mir schlagartig klar.«
    »Was wurde Ihnen klar?«
    »Daß man, wenn man vor anderen davonläuft, notgedrungen ein Leben lang ihrem Zickzackkurs folgt. Und sei es nur, um sie sich vom Leib zu halten. Um vor anderen wegzulaufen, muß man nicht wissen, wo man selber hinwill, sondern nur, wo die anderen sind. So ist man gezwungen, sein Gefängnis immerzu vor der Nase zu haben.«
    »Stimmt«, sagte der Professor, »da haben Sie recht. Wenn ich mir vorstelle, wieviel Scherereien wir beide damit haben, wird mir ganz anders.«
    Ich hob die Schultern und sah hinauf zu dem Plakat über seinem Kopf. Womöglich war es doch nicht als geniale Metapher, sondern als Unterrichtshilfe gedacht. Ein Ausschnitt aus einem anatomischen Atlas vielleicht.
    »Wissen Sie«, fuhr Professor Kanaschnikow fort, »man hat ja so seine Erfahrungen. Ich habe es hier mit sehr vielen Leuten zu tun.«
    »Oh, das bezweifle ich nicht«, sagte ich.
    »Und ich sage Ihnen folgendes. Mich interessiert weniger die formale Diagnose, die ich zu stellen habe, als vielmehr der tieferliegende Grund, weshalb ein Mensch aus seiner normalen psychosozialen Nische kippt. Und da scheint mir Ihr Fall recht klar zu liegen. Sie wollen einfach das Neue nicht akzeptieren. Ihr Alter kennen Sie?«
    »Welche Frage. Sechsundzwanzig.«
    »Sehen Sie. Da gehören Sie exakt zu der Generation, die für ein Leben in dem einen soziokulturellen Paradigma programmiert war und sich plötzlich in einem völlig anderen wiederfand. Können Sie mir folgen?«
    »Und ob.«
    »Das heißt, wir haben hier einen ernsthaften inneren Konflikt vorliegen. Ich kann Sie beruhigen – nicht nur Sie haben damit Ihre Schwierigkeiten. Sogar ich schlage mich mit dem gleichen Problem herum.«
    »Ach ja?« fragte ich, es sollte etwas höhnisch klingen. »Und wie belieben Sie es zu lösen?«
    »Von mir reden wir später«, sagte er. »Jetzt kümmern wir uns erst einmal um Sie. Wie ich schon sagte, betrifft dieser unbewußte Konflikt heutzutage so gut wie jeden. Ich möchte, daß Sie es lernen dahinterzuschauen. Verstehen Sie, die Welt, die um uns ist, widerspiegelt sich in unserem Bewußtsein und wird dort zu einem geistigen Faktum. Und wenn in der Realität irgendwelche althergebrachten Verhältnisse zu Bruch gehen, dann passiert in der Psyche haargenau das gleiche. Wobei im geschlossenen Raum Ihres Ich eine gigantische Menge psychischer Energien frei werden. Das ist wie eine

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