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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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kleine Atomexplosion. Und das Entscheidende ist, wohin all diese Energien nach dem Ausbruch kanalisiert werden.«
    Das Gespräch begann interessant zu werden.
    »Welche Kanäle kämen da, mit Verlaub, in Frage?«
    »Nun, grob betrachtet, gibt es zwei Möglichkeiten. Die psychische Energie kann sozusagen nach außen gehen, in die Welt hinein, kann gerichtet werden auf Objekte wie zum Beispiel … na, sagen wir, eine Lederjacke, ein teures Auto und so weiter. Viele Ihrer Altersgenossen …«
    Die Erinnerung an Ernenzoff jagte mir einen Schauer über den Rücken.
    »Alles klar. Das müssen Sie nicht ausführen.«
    »Wunderbar. Im anderen Fall verbleibt diese Energie aufgrund bestimmter Ursachen im Inneren. Eine denkbar ungünstige Entwicklung. Stellen Sie sich vor, man sperrt einen wilden Stier in einen Museumssaal.«
    »Ein treffliches Bild.«
    »Danke. Dieser Saal also mit seinen zerbrechlichen und womöglich sehr kostbaren Ausstellungsstücken soll einmal für Ihre Persönlichkeit, Ihre Innenwelt stehen. Und der Stier, der darin umgeht – das ist die freigewordene psychische Energie, die zu zügeln über Ihre Kräfte geht. Das ist der Grund, weshalb Sie hier sind.«
    »Er ist wirklich nicht dumm«, dachte ich. »Und ein Schuft ohnegleichen.«
    »Ich sage Ihnen noch mehr«, sprach Kanaschnikow weiter. »Ich habe viel darüber nachgedacht, warum die einen imstande sind, ein neues Leben zu beginnen – nennen wir sie einmal die neuen Russen, obwohl ich diesen Ausdruck überhaupt nicht mag.«
    »Ein wirklich gräßliches Wort, und verfälscht obendrein. Falls Sie Tschernyschewski zitieren wollen, so sprach er wohl von den neuen Menschen.«
    »Mag sein. Die Frage steht nichtsdestoweniger: Wieso zieht es die einen hin zum Neuen, während die anderen ihre ganze Zeit damit zubringen, fiktive Beziehungen zu den Schatten einer versunkenen Welt zu klären?«
    »Also das ist nun wirklich großartig gesagt. Klingt fast wie Balmont.«
    »Danke, danke. Die Antwort ist aus meiner Sicht sehr einfach. Ich fürchte gar, Ihnen wird sie primitiv vorkommen. Ich hole ein wenig aus. Im Leben eines Menschen, eines Landes, einer Kultur und dergleichen vollziehen sich unentwegt Metamorphosen. Manchmal erstrecken sie sich über größere Zeiträume und bleiben unbemerkt, manchmal nehmen sie sehr krasse Formen an – so wie heute. Wie man zu diesen Metamorphosen steht, macht einen beträchtlichen Unterschied zwischen den Kulturen aus. Wenn wir uns zum Beispiel China vornehmen, nach dem Sie ja ganz verrückt sind.«
    »Woher wollen Sie das wissen?« fragte ich und spürte, wie sich hinter meinem Rücken die Fäuste in den straffgezogenen Ärmeln ballten.
    »Steht alles hier in Ihrer Akte«, sagte Professor Kanaschnikow und hob den dicksten der vor ihm liegenden Ordner in die Höhe. »Ich hab sie vorhin noch mal durchgesehen.«
    Er warf den Ordner zurück auf den Tisch.
    »Also die Chinesen. Wie Sie sich entsinnen werden, beruht deren ganze Philosophie auf der Vorstellung, daß die Welt degeneriert, daß sie verfällt aus einem goldenen Zeitalter in immer tiefere Finsternis und Stagnation. Das absolute Maß liegt für sie in der Vergangenheit, und jedwede Neuerungen sind schon deswegen von Übel, weil sie von diesem Maß wegführen.«
    »Aber erlauben Sie«, sagte ich, »das ist doch der menschlichen Kultur insgesamt eigen. Das zeigt sich sogar an der Sprache. Im Englischen zum Beispiel. Dort heißt es, wir seien descendants of the past . Dieses Wort bezeichnet den Abstieg, nicht den Aufschwung. Wir sind keine ascendants .«
    »Schon möglich«, sagte der Professor. »An Fremdsprachen kann ich nur Latein. Wichtig ist etwas anderes. Verankert sich nämlich dieser Bewußtseinstyp in einem einzelnen Individuum, so wird dieser Mensch seine Kindheit als ein verlorenes Paradies empfinden. Nehmen Sie nur Nabokov. Diese ganze endlose Reflexion über seine frühesten Lebensjahre – ein klassisches Exempel für das, wovon ich rede. Aber ein genauso klassisches Exempel für die Gesundung, die Neuorientierung des Bewußtseins auf die Wirklichkeit – jene, nennen wir es einmal Kontrasublimierung, die er meisterlich bewerkstelligte, indem er seine Sehnsucht nach dem unerreichbaren und vielleicht nie dagewesenen Paradies in eine simple, bodenständige und ein wenig sündhafte Leidenschaft zu einem kleinen Mädchen transformierte. Wobei er ja von Anfang …«
    »Pardon, von welchem Nabokov ist die Rede?« fiel ich ihm ins Wort. »Dem Chef der Konstitutionellen

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