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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Petersburg unangenehmen Besuch.«
    »Wer?«
    »Leute aus deinem Theater.«
    »Und wieso das?« fragte er und riß die Augen auf.
    »Ganz einfach. Drei aus der Gorochowaja waren da, einer hat sich als Literaturfunktionär vorgestellt, die anderen beiden hatten es anscheinend nicht nötig, sich vorzustellen. Das Ganze hat vierzig Minuten gedauert, geredet hat hauptsächlich dieser Funktionär, und am Ende hieß es: Das Gespräch mit Ihnen ist sehr interessant, wir reden an anderer Stelle weiter. Ich hatte aber keine Lust, zu der anderen Stelle hinzugehen, von da kommen bekanntlich die wenigsten wieder.«
    »Aber du bist ja offensichtlich wiedergekommen«, unterbrach mich Grigori.
    »Irrtum«, sagte ich, »ich bin gar nicht erst mitgegangen. Ich bin abgehauen, Grigori. So wie früher vorm Hauswart, weißt du noch?«
    »Aber was wollten sie denn von dir?« fragte er. »Du hast doch mit Politik nichts am Hut. Irgendwas verzapft?«
    »Gar nichts. Einfach lachhaft. Ich hab ein Gedicht veröffentlicht, auch noch in der falschen Zeitung, wie sie meinten, da gab es einen Reim, der ihnen nicht gefallen hat: ›Panzerzug‹ und ›wie ein Spuk‹. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Worum ging es denn in dem Gedicht?«
    »Ach, völlig abstrakt. Es ging um den Strom der Zeit, der die Mauern des Jetzt unterspült, und immer neue Muster zeichnen sich darauf ab, wovon wir einen Teil Vergangenheit nennen. Das Gedächtnis will uns glauben machen, daß das Gestern wirklich war, doch woher soll man wissen, ob das Gedächtnis insgesamt nicht erst entstand im ersten Morgensonnenstrahl?«
    »Versteh ich nicht ganz«, sagte Grigori.
    »Ich auch nicht«, antwortete ich, »aber das ist egal. Ich will damit nur sagen: Das hatte nicht die Bohne mit Politik zu tun.
    Zumindest schien es mir bis dahin so. Ihnen schien es anders, das haben sie mir klargemacht. Und das Furchtbare ist, nach dem Gespräch mit diesem Fachberater ging mir ihre Logik plötzlich ein – so tief rein, und ich kriegte einen solchen Schreck, daß ich, als sie mich abführten, weggelaufen bin. Gar nicht mal vor denen, eher vor dem Gedanken, daß …«
    Grigori von Ernen runzelte die Stirn.
    »Die ganze Geschichte ist Humbug«, sagte er. »Das sind Idioten, soviel ist mal klar. Aber du bist auch gut. Kommst du wegen diesem Quatsch nach Moskau gefahren?«
    »Was blieb mir anderes übrig? Ich hab auf der Flucht zurückgeschossen. Dir kann ich vielleicht noch erklären, daß ich auf ein Gespenst geschossen hab, ein Hirngespinst meiner Angst, aber erklär das mal den Tschekisten aus der Gorochowaja. Und selbst wenn ich es erklären könnte, käme mit Sicherheit die nächste Frage: Wieso schießen Sie eigentlich auf Gespenster? Behagen Ihnen die Gespenster nicht, die in Europa umgehen?«
    Grigori blickte mich an und verfiel ins Grübeln. Ich schaute auf seine Hände – ganz langsam zog er sie zurück, flach gegen das Tischtuch gepreßt, so als wollte er den ausgebrochenen Schweiß abwischen, dann waren sie plötzlich unter dem Tisch. Verzweiflung stand Grigori im Gesicht geschrieben; ich spürte, daß unsere Begegnung und mein Bericht ihn in eine äußerst peinliche Lage brachten.
    »Das ist natürlich schon schlechter«, murmelte er. »Immerhin gut, daß du dich mir anvertraust. Ich denke, die Sache kriegen wir ins Lot. Das kriegen wir hin, das kriegen wir hin. Ich werd gleich nachher Gorki anrufen. Hände hoch!«
    Die letzten Worte begriff ich erst, als ich den Pistolenlauf auf dem Tischtuch liegen sah. Und sonderbar: Als nächstes holte Grigori den Kneifer aus der Brusttasche und klemmte ihn sich auf die Nase.
    »Hände hoch!« sagte er noch einmal.
    »Grigori, was soll das?« fragte ich und hob die Hände.
    »Nein«, sagte er.
    »Was nein?«
    »Waffe und Papiere auf den Tisch, basta.«
    »Wie soll ich das machen, wenn ich die Hände oben habe?«
    Er spannte den Hahn seiner Pistole.
    »Ach herrje«, sagte er, »wenn du wüßtest, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe.«
    »Na und?« sagte ich. »Der Revolver ist im Mantel. Was bist du für ein unglaublicher Schuft. Aber das wußte ich schon als kleiner Junge. Wozu machst du das alles? Geben sie dir einen Orden dafür?«
    Grigori grinste wieder.
    »In den Flur«, sagte er.
    Als wir im Flur standen, wühlte er, mit der Pistole weiter auf mich zielend, in meinen Manteltaschen, zog den Revolver hervor und steckte ihn ein. Seine Bewegungen hatten etwas verschämt Hastiges, so wie ein Gymnasiast sich benimmt, der zum erstenmal in

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