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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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nippte am Sekt.
    »Übrigens, Pjotr«, sagte er lässig, »weil wir gerade dabei sind: Es heißt, Sie hätten Kokain?«
    »Ah ja«, sagte ich, »stimmt. Wo unser Gespräch es sozusagen von selbst hervorgespült hat.«
    Ich fuhr mit der Hand in mein Köfferchen, zog die Dose hervor und stellte sie auf den Tisch.
    »Bedienen Sie sich.«
    Kotowski ließ sich nicht lange bitten. Die zwei weißen Häufchen, die er auf die Tischplatte streute, glichen veritablen Gebirgskämmen. Als die nötigen Verrichtungen absolviert waren, lehnte er sich in den Sessel zurück. Der Höflichkeit halber wartete ich ein Weilchen, ehe ich meine Frage stellte:
    »Denken Sie oft an Rußland?«
    »Als ich noch in Odessa wohnte, mindestens dreimal täglich«, sagte Kotowski mit dumpfer Stimme. »Manchmal so sehr, daß mir das Blut aus der Nase spritzte. Ich habe es mir dann abgewöhnt. Ich mag keine Abhängigkeiten.«
    »Und wieso jetzt wieder? Hat Dostojewski Sie rumgekriegt?«
    »Nein, nein«, sagte er. »Innere Kämpfe.«
    Mir kam ein abwegiger Gedanke.
    »Sagen Sie, Grigori, wieviel sind Ihnen Ihre Traber wert?«
    »Wieso diese Frage?«
    »Ich schlage einen Tauschhandel vor. Das halbe Döschen da gegen Ihr Gespann.«
    Mich traf ein stechender Blick. Dann nahm Kotowski das Behältnis vom Tisch, schaute hinein und sagte:
    »Sie sind ein Verführer, fürwahr. Wozu brauchen Sie meine Pferde?«
    »Zum Ausfahren. Was dachten Sie.«
    »Na schön«, sagte Kotowski, »ich bin einverstanden. Zufällig hab ich eine Apothekerwaage im Gepäck.«
    »Nehmen Sie ruhig reichlich«, sagte ich. »Es ist mir in den Schoß gefallen.«
    Er entnahm seiner Rocktasche ein silbernes Zigarettenetui, kippte die Papirossy aus, holte ein Taschenmesser hervor und schaufelte mit der Klinge einen Teil des Pulvers um.
    »Wird da nichts herausfallen?«
    »Keine Bange, das Etui stammt noch aus Odessaer Zeiten. Spezialanfertigung. Die Traber gehören Ihnen.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Stoßen wir an auf das Geschäft?«
    »Gern«, sagte ich und hob mein Glas.
    Kotowski trank aus, erhob sich, versenkte das Etui in der Rocktasche und ergriff den Leuchter.
    »Also dann, ich danke Ihnen für das Gespräch. Und, bei Gott, nehmen Sie mir die nächtliche Belagerung nicht übel!«
    »Gute Nacht. Gestatten Sie noch eine Frage? Da Sie schon selbst davon sprachen: Was sind das für innere Kämpfe, gegen die Kokain etwas ausrichten kann?«
    »Im Vergleich zu Rußlands Drama eine Lappalie«, sagte Kotowski und verließ mit einem soldatisch knappen Nicken den Raum.
    Ich konnte lange nicht einschlafen. Erst dachte ich an Kotowski, der, so mußte ich mir gestehen, einen angenehmen Eindruck auf mich gemacht hatte. Man spürte, er hatte Stil. Dann schweiften meine Gedanken zurück zu dem Gespräch mit Tschapajew. Vor allem dieses »Nirgendwo« beschäftigte mich. Auf den ersten Blick war alles ganz einfach. Er hatte mir die Frage vorgelegt, ob ich der Welt meine Existenz verdankte oder sie die ihre mir. Alles lief natürlich auf eine banale Dialektik hinaus, und doch hatte die Sache eine nicht geheure Nuance, die er mit seinen für den Moment idiotisch erscheinenden Fragereien nach dem Ort des Geschehens kunstgerecht ins Licht gerückt hatte. Wenn die ganze Welt in mir ihren Platz hat, wo existiere dann ich? Und existiere ich in der Welt – wo in ihr, an welchem ihrer Orte befindet sich mein Bewußtsein? Man hätte freilich behaupten können, daß die Welt genausogut in mir existierte wie ich in ihr, und es wären dies die zwei Pole eines Magneten. Der Witz war nur der, daß sich kein Nagel fand, an dem dieser Magnet, diese dialektische Dyade aufzuhängen war.
    Sie durfte nirgendwo sein!
    Denn für ihre Existenz brauchte es einen, in dessen Bewußtsein sie keimen konnte. Der aber durfte auch nirgendwo sein, jedes Irgendwo entstand im Bewußtsein, für das es wiederum keinen anderen Ort gab als den von ihm selbst geschaffenen … Wo aber war es, bevor es sich diesen Ort schuf? In sich? Ja freilich, aber wo?
    Plötzlich fürchtete ich mich vor dem Alleinsein. Ich hängte den Uniformrock über die Schultern, ging hinaus auf den Korridor, erkannte im fahlblauen Licht des zum Fenster hereinscheinenden Mondes das Geländer der Treppe, die nach unten führte, und verließ das Haus.
    Die ausgespannte Kutsche stand unweit des Portals. Ich lief ein paarmal um sie herum und freute mich an der elegant geschwungenen Silhouette, die im Mondlicht noch zauberhafter wirkte. Plötzlich schnaubte ganz in der Nähe

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