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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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tosender kleiner Wirbelwind darüber hinweggegangen waren.
    Serdjuk leerte die Flasche mit ein paar langen Zügen und warf sie gezielt in die Büsche hinter der granitenen Einfassung der Grünanlage. Sogleich setzte sich ein gewitztes altes Weiblein dorthin in Bewegung, das bis eben noch so getan hatte, als läse es Zeitung. Serdjuk lehnte sich zurück.
    Der Rausch ist seinem Wesen nach gesichtslos und kosmopolitisch. Die Seligkeit, die sich nach einigen Minuten einstellte, enthielt nichts von dem, was das Etikett mit den Zypressen, antiken Bögen und leuchtenden Sternen am tiefblauen Himmel verhießen hatte. Man spürte nicht einmal, daß der Wein von der linksseitigen Krimküste stammte, ja, es regte sich im prickelnden Hirn eine Ahnung, daß die Welt um ihn her, gesetzt den Fall, der Wein wäre ein rechtsdrehender gewesen oder gar irgendein moldawischer, sich denselben Änderungen unterworfen hätte wie jetzt.
    Und die Welt änderte sich sichtlich. Plötzlich war sie ohne Arg. Die Passanten verwandelten sich von Adepten des Weltbösen in dessen arme Opfer, die nicht einmal wußten, daß sie Opfer waren. Eine Minute später war etwas mit dem Weltbösen geschehen – es schien entweder verschwunden oder belanglos geworden zu sein. Die Seligkeit erreichte ihren herrlichen Zenit und verharrte dort einige Minuten, bis Serdjuk von der gewöhnlichen Last trunkener Gedanken wieder in die Wirklichkeit hinuntergezogen wurde.
    Drei Schuljungen liefen an ihm vorbei; aus dem Tohuwabohu ihrer gebrochenen Stimmen stach wiederholt das energisch gezischte Wort »Zocken« hervor. Je weiter ihre Rücken sich entfernten, um so mehr schienen sie von einem am Straßenrand geparkten amphibischen Jeep japanischer Bauart angezogen zu werden, der eine große Seilwinde auf der Kühlerhaube trug. Genau auf gleicher Höhe prangte, zwei Zinnen einer unsichtbaren Festungsmauer gleich, das McDonald's-Logo von der gegenüberliegenden Straßenseite. All dies zusammen – die Schülerrücken, der Jeep und das gelbe M auf rotem Grund – ließ Serdjuk an ein Bild des Malers Dejneka denken: die »Künftigen Piloten«. Er glaubte sogar zu wissen, woran dies lag – an der Bestimmtheit nämlich, mit der das Schicksal der handelnden Personen in beiden Fällen vorherzusehen war. Während die »künftigen Gangster« im Fußgängertunnel untertauchten, fiel Serdjuk zum selben Thema der amerikanische Film »To Kill The Dutchman« ein, in Moskau gedreht, doch im New York der dreißiger Jahre spielend. In der Wohnung eines der Gangster hatten die »Künftigen Piloten« an der Wand gehangen und dem Film eine düstere und beängstigende Vieldeutigkeit verliehen.
    Über Politik mochte Serdjuk jetzt aber nicht weiter nachdenken. Die Gedanken kehrten von selbst zu dem zurück, was er in der U-Bahn beim Nachbarn gelesen hatte.
    Die Japaner sind ein großartiges Volk! dachte er. Zwei Atombomben hat man ihnen draufgeschmissen, die Inseln abgeluchst, und sie – haben's prima überlebt … Wieso gucken bei uns alle immer nur nach Amerika? Müßte uns dieses Amerika nicht eher schnuppe sein? Um Japan muß man sich kümmern – das sind doch unsere Nachbarn! Von Gott gewollt. Und die müssen mit uns genauso gut Freund sein, damit wir zusammen Amerika den Stuhl unterm Hintern anbrennen. Einen Denkzettel kriegen die Amerikaner von uns beiden, für die Atombombe und für die Bialowiezer Heide, wo sie unserem Vaterland den Todesstoß versetzt haben.«
    Auf unerfindliche Weise und doch wie selbstverständlich mündeten diese Überlegungen in den Entschluß, sich noch einen zu genehmigen. Einige Zeit meditierte Serdjuk über die Frage, was für einen. Portwein war ihm über. Nach dem verspielten Ostküsten-Adagio schien nunmehr ein langes, ruhiges Andante das Passende zu sein – etwas Klares, Uferloses mußte her, etwas wie der Ozean aus dem Vorspann zur Sendung »Klub der Weltenbummler« oder das Weizenfeld auf der Aktie, die Serdjuk für seinen Privatisierungsscheck bekommen hatte. Nach einigen Minuten Bedenkzeit entschied er sich für hochprozentigen holländischen Korn und merkte erst auf dem Weg zum Kiosk, daß seine Wahl immer noch mit jenem Film zu tun hatte.
    Das war freilich Nebensache. Er landete wieder auf derselben Bank, entkorkte zügig die Flasche, füllte den Plastikbecher zur Hälfte und trank ihn aus, dann riß er, während sein verbrannter Mund nach Luft schnappte, die Zeitung auseinander, in die der als Zubrot gekaufte Hamburger eingewickelt war. Ein

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