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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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mochte wissen, was er von mir wollte. Ich ahnte, daß es etwas mit Anna zu tun haben mußte.
    »Bitte, treten Sie ein.«
    Die Tür ging auf, Kotowski kam herein. Er sah vollkommen anders aus als am Tage: Jetzt trug er einen Schlafrock mit Fransen, unter dem die gestreiften Beine eines Pyjamas hervorschauten. In der einen Hand hielt er einen Leuchter mit drei brennenden Kerzen, in der anderen eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Der Anblick des Champagners bestärkte meine Vermutung, daß Anna sich bei ihm beschwert haben mochte.
    »Nehmen Sie Platz.«
    Ich wies auf einen Sessel.
    Er stellte Leuchter und Champagner auf dem Tisch ab und setzte sich.
    »Darf man bei Ihnen rauchen?«
    »Bitte sehr.«
    Nachdem die Zigarette entzündet war, machte Kotowski eine seltsame Handbewegung: Er fuhr sich mit gespreizten Fingern über den Schädel, als wollte er damit einige nicht vorhandene, in die Stirn gefallene Haarsträhnen zurückstreichen. Ich erinnerte mich, diese Geste schon einmal gesehen zu haben, und sogleich fiel mir ein, wo: in Tschapajews Panzerzug. Anna hatte damals ihre geschorenen Haare auf ganz ähnliche Art zu ordnen versucht. In mir blitzte der Gedanke auf, die beiden könnten zu einer obskuren, von Tschapajew angeführten Sekte gehören, und die Kahlköpfigkeit hinge mit gewissen Ritualen zusammen. Doch im nächsten Augenblick wurde mir klar, daß wir alle dieser Sekte angehörten – wir alle, die wir die über Rußland hereingebrochene Freiheit nebst der sie unausweichlich begleitenden Läuseinvasion ein neues Mal über uns ergehen lassen mußten. Ich lachte auf.
    »Was ist?« fragte Kotowski und zog eine Braue nach oben.
    »Ach, ich mache mir nur so meine Gedanken über das Leben heutzutage. Wir lassen uns kahlscheren, um nicht zu verlausen. Wer hätte das vor fünf Jahren für möglich gehalten? Es ist nicht zu fassen.«
    »Merkwürdig«, sagte Kotowski, »ich habe auch gerade darüber nachgedacht. Was mit Rußland geschehen ist. Deshalb komme ich zu Ihnen. Es war so eine Eingebung. Ich muß mit jemandem darüber reden.«
    »Über Rußland?«
    »Exakt.«
    »Was gibt es da zu reden«, sagte ich. »Ist doch alles sonnenklar.«
    »Nein, ich meine: wer an alledem schuld hat.«
    »Das kann ich nicht sagen. Was meinen denn Sie?«
    »Die Intelligenzija. Wer sonst.«
    Er reichte mir das gefüllte Sektglas.
    »Der Intellektuelle«, sagte er, und sein Gesicht verfinsterte sich, »insbesondere der russische, der ja nie anders als auf fremde Kosten zu leben versteht, hat einen widerlichen, kindischen Zug. Er scheut sich nie, gegen das zu Felde zu ziehen, was ihm im Innersten recht und billig erscheint. So wie ein kleines Kind, dem es nichts ausmacht, seinen Eltern übel mitzuspielen, weil es weiß: Das Ärgste, was ihm passieren kann, ist, ein bißchen in der Ecke stehen zu müssen. Vor fremden Leuten hat es mehr Angst. Genauso verhält sich diese bescheuerte Klasse.«
    »Ich kann Ihrem Gedanken nicht ganz folgen.«
    »Der Intellektuelle kann die Grundfesten des Imperiums, das ihn hervorgebracht hat, noch so verhöhnen – daß darin eine Moral waltet, weiß er genau.«
    »Ach ja? Wie das?«
    »Wenn dieses moralische Gesetz nicht mehr gälte, wagte er es doch nie im Leben, diesen Brunnen zu besudeln. Ich habe erst neulich wieder Dostojewski gelesen. Wissen Sie, was ich dabei gedacht habe?«
    Mir zuckte auf einmal die Wange.
    »Was denn?«
    »Das Gute ist seiner Natur nach unendlich gnädig. Überlegen Sie mal: Diese Scharfrichter von heute wären seinerzeit alle nach Sibirien geschickt worden, wo sie die frische Landluft atmen und den lieben langen Tag Hasen und Rebhühner hätten jagen dürfen. Nein, der Intellektuelle scheut sich nicht, Heiligtümer zu zertrampeln. Nur eines scheut er wie die Pest – das Böse und seine Wurzeln beim Namen zu nennen. Denn wenn er das täte, könnte es sein, daß man ihm umgehend einen Telegrafenmast in den Arsch rammt.«
    »Deftiges Bild.«
    »Was nicht etwa heißt, daß es ihm keinen Spaß macht, mit dem Bösen ein heimliches Spiel zu treiben«, fuhr Kotowski hitzig fort, »es ist ein Spiel ohne Risiko, und der Nutzen liegt auf der Hand. Von daher kommt dieses Freiwilligenheer von Spitzbuben, die absichtlich Oben und Unten und Links und Rechts umkehren, verstehen Sie? Alle diese gerissenen geistigen Zuhälter, diese windelweichen konstitutionellen Demokraten, verlotterten Anarchisten, mit Kokain vollgepumpten Sozialrevolutionäre, diese …«
    »Ich versteh schon.«
    Kotowski

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