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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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fuhr vor.
    »Wahrscheinlich Kotowski und Anna«, sagte ich. »Für gesteifte Russenhemden scheint Ihre Scharfschützin etwas übrig zu haben, Wassili Iwanowitsch.«
    »Was denn, Kotowski ist in der Stadt? Warum sagst du das nicht gleich?«
    Er drehte sich um und ließ mich stehen. Ich schlenderte ihm nach, doch an der Hausecke verharrte ich. Kotowskis Kutsche stand vor der Einfahrt, Kotowski selbst war gerade dabei, Anna herauszuhelfen. Als er den nahenden Tschapajew bemerkte, salutierte er und machte einen Schritt auf ihn zu; die beiden umarmten sich. Es folgte der übermütige, von Schulterklopfen begleitete Wortwechsel zwischen zwei Männern, die einander zeigen möchten, daß jeder von ihnen immer noch forsch und unverzagt durch die Wüsten des Lebens zieht. Genauso forsch und unverzagt gingen sie zum Haus, während Anna sich noch bei der Kutsche aufhielt. Einer plötzlichen Eingebung folgend, lief ich auf sie zu – wobei ich auf halbem Wege über eine leere Munitionskiste stolperte und nahe daran war, ein weiteres Mal hinzuschlagen; dies war der Moment, wo mich mein schneller Entschluß schon fast wieder reute.
    »Anna, bitte! Warten Sie doch!«
    Sie, nun bereits auf dem Weg zum Haus, blieb stehen und drehte den Kopf nach mir. Mein Gott, wie hübsch sie in diesem Augenblick war!
    »Anna, glauben Sie mir«, begann ich zu stammeln und preßte dabei dämlich die Hände gegen die Brust, »glauben Sie mir, ich darf gar nicht daran denken, wie ich mich heute im Restaurant aufgeführt habe. Aber geben Sie zu. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Diese ewige, um sich selbst kreisende Suffragetterie. Das kann nicht Ihr wahres Ich sein, das ist doch nur ein Nachbeten gewisser ästhetischer Formeln, und was daraus …«
    Ihre Hände stießen mich jäh zurück.
    »Gehen Sie, Pjotr, bleiben Sie mir fern, um Gottes willen«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Sie stinken nach Zwiebel. Und wenn ich alles verzeihen könnte – das nicht.«
    Ich drehte auf dem Absatz um und stürzte ins Haus. Meine Wangen glühten, und den ganzen Weg bis in mein Zimmer (unklar, wie ich es in der Dunkelheit überhaupt fand) verfluchte ich Tschapajew, seinen Schnaps und seine Zwiebeln auf das Lästerlichste. Ich warf mich auf das Bett und verfiel in einen Zustand, der dem Koma – dem ich am Morgen erst entronnen war – wohl recht nahe kam.
    Nach einer Weile klopfte es an die Tür.
    »Petka«, rief Tschapajews Stimme von draußen, »wo bist du denn?«
    »Nirgendwo!« gab ich brummend zur Antwort.
    »Oho!« jubelte Tschapajew unvermittelt auf. »Er hat's begriffen! Dafür gibt es gleich morgen eine lobende Erwähnung vor versammelter Mannschaft. Du weißt also Bescheid! Wozu hast du dich den ganzen Abend dumm gestellt?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Denk doch mal nach! Was siehst du gerade?«
    »Das Kopfkissen«, sagte ich. »In Umrissen. Und ich will jetzt nicht wieder erklärt bekommen, daß es in meinem Bewußtsein steckt.«
    »Alles, was wir sehen, steckt in unserem Bewußtsein, Petka. Darum ist es verfehlt zu sagen, unser Bewußtsein befände sich irgendwo. Wir sind nirgendwo, weil es einen Ort, von dem sich sagen ließe, daß wir uns an ihm befänden, einfach nicht gibt. Weißt du's wieder?«
    »Tschapajew, ich wäre jetzt lieber allein«, sagte ich.
    »Wie du meinst. Hauptsache, du bist morgen putzmunter. Wir haben am Mittag einen Auftritt.«
    Die Dielen knarrten, was wohl bedeutete, daß Tschapajew sich über den Flur entfernte.
    Eine Zeitlang hing ich seinen Worten nach: zunächst diesem »Nirgendwo«, dann seiner ominösen Ankündigung eines Auftritts am nächsten Tag. Es wäre ein leichtes gewesen, aus dem Zimmer zu rennen und ihm zu verkünden, ich könne leider nicht auftreten, denn ich sei »nirgendwo«. Aber dazu hatte ich keine Lust – eine bleierne Schläfrigkeit hatte sich meiner bemächtigt, alles übrige schien lästig und ohne Belang. Ich schlummerte ein und träumte ausführlich von Annas schmalen Fingern, wie sie über den gerippten Lauf ihres Maschinengewehrs glitten.
    Ein neuerliches Klopfen an die Tür holte mich aus dem Traum.
    »Tschapajew, ich hatte darum gebeten, mich in Ruhe zu lassen! Warum rauben Sie einem vor dem Gefecht den Schlaf?«
    »Hier ist nicht Tschapajew«, sagte eine Stimme. »Kotowski.«
    Ich stützte mich auf die Ellbogen.
    »Was wünschen Sie?«
    »Ich muß unbedingt mit Ihnen reden.«
    Ich zog die Pistole aus der Tasche, legte sie auf das Bett und zog die Decke darüber. Der Teufel

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