Büchners Braut: Roman (German Edition)
dass sie wieder erschrecken würde, wenn er unvermittelt da wäre, weil er noch erwachsener aussehen würde. Und sie war nicht einmal dreizehn. Erst im November hatte sie Geburtstag. Friedrich war fast fünfzehn. Oder, um Himmels willen, war er es schon?
Wann Friedrich genau kommen würde, konnte ihr Madame Rauscher nicht sagen. Eventuell in einer Woche, meinte sie. Erst führe er zu seinem Großvater nach Waldersbach, bevor er nach Barr käme. Minna mochte nicht weiter danach fragen.
Friedrichs Großvater, der Vater der Rauscherin, war Oberlin, der gute Papa Oberlin, wie ihn die Leute nannten. Im ärmlichen Steintal drüben hatte er sein Amt, pflegte die Bildung seiner Gemeinde und die Erziehung der Kinder wie kein zweiter Pfarrer. Ihr Vater hatte Minna einmal mitgenommen dorthin, über holperige Hügel wurde man durch Wälder kutschiert. So weit war es gar nicht, aber alles war ganz anders als in Barr.
Oberlin verließ seine Gemeinde nur noch aus wirklich dringenden Gründen. Schmal war er im Gesicht, streng, sein Lachen war verhalten, nie laut. Man sagte, die Kinder würden auf jeden Fingerzeig von ihm hören. Wenn er die Hand hob, war es ihnen schon Befehl genug, aufzustehen. Gütig war er sicher, missfallen durfte ihm nichts.
Minna war das runde Gesicht ihres Papas und sein lautes Lachen lieber. Ganz fest hatte sie sich an den Arm ihres Vaters gelehnt, als sie dort waren, und still auf Oberlins schön geschwungenen Mund geschaut. Friedrichs Mund war genauso schön.
***
Der andere Junge wusste nichts von Friedrich. Mit ihm sprach Minna nicht oft. Sein Französisch klang kantig und kräftig, seine Schultern waren breit. Er war immer sehr eifrig dabei, wenn nach dem protestantischen Gottesdienst der schwere Altar aus Nussbaumholz vom Schiff wieder in die Sakristei geschoben wurde. Die Kirche wurde von beiden Gemeinden genutzt, der protestantischen wie der katholischen. Aber neu war dieser Zustand auch schon nicht mehr, man war schon lange französisches Land. Wie fast überall in der Gegend gab es in den Orten, die nur eine Kirche hatten, eine alte Regelung:Die Katholiken bekamen den Chor mit dem Altar, die Protestanten durften für ihre Gottesdienste das Schiff nutzen. Der bewegliche Altar wurde dazu hinund hergeschoben.
Minna hatte die Blicke des Jungen geduldet. Und dann war es zur Gewohnheit geworden. Er lächelte, sie lächelte zurück. In der Kirche lauschte er auf Pfarrer Jaeglés Worte mit hochgezogenen Brauen, als würde er alles verstehen, und Minna wunderte es, verstand doch nicht einmal sie alles, was der Vater sagte. Und dann war der Junge wieder bei den Ersten, die den Altar hinausschoben. Jaeglé klopfte ihm dafür auf die Schulter.
Jean hieß er, aber genau wusste es Minna später nicht mehr. So viele nannten sich Jean. Jean sollte nicht aufs Gymnasium gehen, er würde Schmied werden, wie sein Vater.
Friedrich war angekommen, nach einer Woche oder etwas länger. Minna hatte sich gezwungen, die Tage nicht zu zählen. Sein Kinn war breiter geworden. Seine Schultern waren nicht so kräftig wie die von Jean. Dabei war der auch nicht älter. Oder doch? Jedenfalls war Friedrichs Mund dem seines Großvaters noch ähnlicher geworden. Seine dunkelblonden Haare lagen hübsch bis über die Ohren. Minna wollte sich keine Zöpfe flechten, lieber trug sie die Haare offen, nur etwas nach hinten gesteckt. Die Mutter würde schon nichts sagen.
Friedrich war gleich nach seiner Ankunft zur Begrüßung ins Pfarrhaus gekommen. Minnas erste Furcht verflog. Er lächelte ihr zu, gab ihr zaghaft die Hand. Natürlich musste er zu den Jaeglés kommen. Sein Vater wird ihn schon geschickt haben. Sie deutete es ihm an, als ermit ihr das Haus verließ. So was konnte man schon arrangieren, sie musste nur zur richtigen Zeit den Obstkorb nehmen und ihn hinausbegleiten.
Nein, freilich bin ich gleich selbst gekommen! Ich komme gerne zu euch.
Ich – ich hole ein paar Äpfel aus dem Garten. Hoffentlich brauche ich die Leiter nicht.
Sie ging ein paar Schritte weiter, an der Wand stand eine Holzbank, neben dem grünen Holztor zum Keller.
Sind sie schon gut reif?
Die frühen, die Kornäpfele, ja, die sind schön reif.
Er bot ihr nicht an, die Leiter zu halten oder selbst hinaufzusteigen.
Ja dann …, sagte er. Blieb aber stehen.
Ja dann, sagte Minna, dann genieß die Ferien hier. Und es ist schön, dass du wieder einmal hier bist. Weißt du, in der Schule ist es langweilig. Ich meine, dein Vater muss beim Unterrichten an
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