Büchners Braut: Roman (German Edition)
die Jüngeren denken. Da ist es für mich …
… langweilig!, setzte Friedrich den Satz fort. Er zog die Lippen breit und spitzte sie wieder. So recht wollte er nicht weiter da stehen.
Holzkopf, dachte Minna. Sie stemmte den Korb gegen den Bauch, drehte sich gespielt unbekümmert hin und her.
Kannst du mir etwas aus deinem Unterricht in Straßburg erzählen? Aus der Geschichte würde es mir gefallen.
Ähm, ja … nichts aus der Religionslehre?
Minna stutzte, hielt im Drehen inne. Nein! Lieber Geschichte oder Geografie oder auch etwas aus den Naturwissenschaften.
Aus den Natur … wissenschaften?
Seine Stimme war ungewollt hochgeschlagen.
Aber ja, das muss doch wunderbar aufregend sein! Mein Vater sagte, ihr habt am Gymnasium dort sogar … wie sagte er? Vorführungen.
Ja, ja, aber meine Hauptfächer sind Griechisch und Latein und …
Religionslehre, ich weiß, sagte Minna. Du wirst Pfarrer werden?
Ähm, ich denke … mein Großvater wünscht es. Was kann es Schöneres geben, als ein Kirchenamt zu haben, für Gott zu sprechen?
Minna lächelte. Ja, er hatte natürlich recht.
Au revoir, Friedrich, sagte sie. Jedenfalls würden sie noch miteinander reden. Und warum sollte er nicht Pfarrer werden?
Au revoir, Minna. Er ging zum Gartentor hinaus. Die Steinstufen davor fielen rechts hinunter zur Straße ab, deren Verlängerung die Kirchgasse war, die noch weiter abfiel, hinunter zu den Höfen der Winzer mit den Keltern. Linker Hand lag der breite, wuchtige Schmiedhof, von dem jeden Wochentag die Schläge des Hammers heraufhallten.
Friedrich ging die Steinstufen in die andere Richtung hinauf, an seinem Elternhaus vorbei, hoch bis zum Kirchhof. Im Garten stieg Minna auf die Leiter und sah ihm nach. Er schritt gemessen auf die Kirche zu, im schwarzen Rock und mit hochgeschlossenem Kragen. Er schaute nicht zu Minna hinunter in den Garten.
***
Der Kirchhof lag zum Pfarr- und Schulhaus hin frei. Zur anderen Seite hinter der Kirche war er von einer dicken Mauer begrenzt, die in den ansteigenden Hügel hineingebaut war. Über der Mauer führte eine Straße den Hügel entlang, danach war der Ort zu Ende. Jenseits der Straße lag der Friedhof, rechts und links von Weinbergen eingefasst.
Die niedrige Kirche war marode in den Mauern und im Gebälk, aber von einem großen, sacht ansteigenden, mit grauen Schindeln gedeckten Dach geschützt. Die Katholiken bauten sich gerade eine eigene Kirche. Ein wenig dauerte es noch, dann würde Jaeglé die Kirche für seine Protestanten alleine haben. Das riesige Dach konnte Minna von ihrem Fenster aus sehen. Dahinter die Weinberge, wenn sie sich aus dem Fenster lehnte, sogar rechts den Friedhof, auf dem Julie-Adelaide lag. Und den Turm, den sah sie auch. Alt war der Turm, aus verwittertem rosa Sandstein. Große Quader an den Ecken. In Scharrachbergheim waren daran Fratzenbilder gemeißelt gewesen. Als sie hier in Barr angekommen waren, hatte Minna nach Fratzen auch an diesem Turm gesucht. Sie fand keine. Ihr Vater meinte, nicht jede Kirche müsse solche Fratzen haben. Er hätte seiner Tochter gerne erklärt, was die Fratze in Scharrachbergheim bedeutete, die Minna besonders bewegt hatte. Ein hundeähnliches Getier war es gewesen, mit kleinen spitzen Ohren, einer flachen Nase mit riesigen Nüstern, einem weit aufgerissenen Maul, in dem gerade zur Hälfte eine Gestalt verschwand, mit dem Kopf zuerst. Eine Frau, hatte Minna gesagt, denn ganz deutlich waren die Beine zu sehen, darüber das Dreieck eines einfachen Rockes. Minna kannte nur Männer in Hosen. Inalten Zeiten mochte das anders gewesen sein, aber dazu wollte der Vater nichts sagen, und auch die Bedeutung der Fratze kannte er nicht. Das Bild war so alt gewesen, sicher aus einer Zeit, als es noch keinen Luther gegeben hatte.
***
Im Februar 1824 wurde der Bruder Jacques-Jules geboren. Zur Taufe gab es ein großes Fest. Der Vater hatte jetzt viele Bekannte. Die Leute brachten Geschenke für Mutter und Kind. Jean kam im Auftrag seiner Eltern mit einem Korb voll Gebäck, am Henkel darüber hing ein kleines Hufeisen. Die Magd nahm ihm den Korb ab. Minna holte gerade Geschirr aus dem Schrank, sah kurz zu ihm, lächelte, weil er lächelte. Seine Haut war selbst im Winter leicht gebräunt. Bei der Feier sagte dann der Vater, dass der junge Schmied wohl ein guter Mann werden würde. Er habe die Gnade einer lebensfrohen Seele vom Herrgott erhalten.
Es ließ sich nicht vermeiden, Minna wurde rot. Sie stand im Dunst von Braten und Kraut
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