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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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machte gerade Besorgungen.
    Also, ich ging zur Tür, und er stand draußen, ganz schüchtern – glaubt mir – und mit großen Augen, wie eine Katze, wenn es donnert. Ich erinnerte mich nicht, je einen ähnlichen Menschen gesehen zu haben. Seine Art zu reden, ich sage euch, so etwas traf ich selbst unterden Studenten, die meinen Vater besuchten, sonst nicht.
    ***
    In der Nacht vor der Fahrt nach Mainz blieb sie erstaunlich ruhig. In einer freudigen Erwartung stand sie noch eine Stunde am Fenster, sah in den dunklen Garten, in dem schwach die Beete, die Obstbäume und eine Bank zu erkennen waren. Dort hatte sie mit Georg Romane gelesen. Abends hatte er sie gebeten, »So viel Stern am Himmel stehen« zu singen.
    Eigentlich konnte dieses Hüten und Belehren eines adligen Mädchens keine große Zukunft versprechen. Doch neue Menschen, neue Gesichter, neues Leben. Und niemand würde sie als »unsere Minna« vorstellen.
    Siehst du, George? Ich gehe.
    Ich werde eine Weile die Maske einer Gouvernante aufziehen. Diese Gouvernante erfüllt dann einen Zweck.
    Ich hab nichts anderes gelernt, als Kinder zu hüten und ihnen etwas beizubringen.
    Dieser Gouvernanten-Automat wird hübsch laufen, ich sag es dir, mein Leonce.
    So werd ich halt meinen Zweck auch außer mir erreichen müssen. Ist dies so schlimm?
    Wir werden sehen, welches Gesicht nach der Gouvernante zum Vorschein kommt. Der reinste Maskenball kann ein Leben sein.
    Doch wir wissen ja beide, wie Hamlet es sagte: Selbst ein König ist ein Ding – das nichts ist.
    Sie träumte diese Nacht von Barr, wie sie dort im Garten auf der Bank saß, mit einem Jungen, der schön geschwungeneLippen hatte, die Stimme Georgs und über einem leinenen Hemd den Lederschurz eines Schmieds. Sie stritten sich über Jean Pauls »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei«.
    In Barr. Dort wurde sie erwachsen. Als achtjähriges Kind kam sie in den Ort, als Sechzehnjährige verließ sie ihn.

1818 bis 1826, Barr
    Der Junge mit den schönen Lippen war Madame Rauschers Sohn. Die Rauscherin führte die Kleinkinderschule in Barr. Sie war wie Minna eine Pfarrerstochter, und in Minnas Erinnerung schlicht, aber hübsch und stets von einer gequälten Stille begleitet. Sie lehrte am liebsten Kinderlieder. Minna erinnerte sich, wie man das Singen der Kinder bis vor das Haus hörte. Die Rauschers wohnten gleich beim Kirchhof. Ihr Mann war der Vikar der Pfarre, unterrichtete die Kinder und rechnete mit der Amtsnachfolge auf Jaeglés Stelle.
    Minna selbst war nie in der Kleinkinderschule der Rauscherin gewesen. Sie war schon zu alt und durch den frühen Unterricht bei ihrem Vater weiter als die meisten Kinder ihres Alters. Deutsch, Französisch, auch Englisch lernte sie bei ihm, dann noch Geografie, Geschichte, die Grundzüge der Mathematik und Geometrie. Religionslehre und Bibelstunde betrachtete Jaeglé nicht als eigentlichen Unterricht. So wie er als Hofmeister die Töchter des englischen Gesandten Wynne unterrichtet hatte, versuchte er es auch mit seinen Kindern zu halten.
    Aber die Zeit wurde ihm eng hier in Barr. Er nahm das Amt des Konsistorialpräsidenten an, das Pfarramt in der Kleinstadt wurde aufwendiger, und Minna und Louis-Théodore besuchten den regulären Unterricht bei Vikar Rauscher wie jedes andere Kind der protestantischen Gemeinde.
    Minna und Louis-Théodore saßen oft zusammen, obwohl die Mädchen ihre Bänke auf der einen, die Buben auf der anderen Seite hatten. Das Schulzimmer lag im Erdgeschoss, und der Familie Rauscher blieb gerade genügend Platz zum Wohnen im Haus. Aus dem Fenster des Schulzimmers sah Minna in eine Baumkrone, einen Teil der Martins-Kirche, daneben noch ein Stück des Daches vom Pfarrhaus. Sie kippelte mit dem Stuhl. Rauscher war nachsichtig mit ihr.
    Louis-Théodore lernte brav, ohne Begeisterung, aber mit Sorgfalt, er fürchtete Rauschers strengen Blick. Minna wurde manchmal befreit, sie durfte Madame Rauscher in der Kleinkinderschule helfen. Ihre Mutter und Madame Rauscher hatten das ausgemacht. Das sei gut für Minna. Ein Mädchen sollte solche Arbeiten verrichten. Und sie konnte schon von jeher gut mit den kleineren Kindern, hatte die Mutter gesagt. Minna stand daneben, hielt ihren Rücken gerade und kommentierte nicht, was man von ihr sprach. Aber sie hörte aufmerksam zu. Sie wurde in den Kleinkinderunterricht eingewiesen, ihren Bruder würde man aufs Gymnasium schicken.
    Und, willst du dann auch Theologie studieren?, fragte sie ihn

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