Büchners Braut: Roman (German Edition)
auf dem kurzen Weg zwischen Schule und Pfarrhaus. In diesem letzten Sommer, den er zu Rauscher ging, hatte man zu Hause öfters darüber gesprochen, dass man für ihn einen Platz auf der höheren Schule suchte. Mit Minnas feinem Spott konnte Louis-Théodore nicht umgehen. Er erkannte ihn meist nicht einmal. Seine Schwester war älter und gescheiter. Wieso sollte sie mit ihm Spott treiben?
Er zuckte kurz mit den Schultern, während Minna ihn über die Schulter hinweg ansah. Noch war er kleiner als sie. Einen halben Kopf.
Nein – oder doch. Ich weiß das jetzt noch nicht, Minna.
Ich finde, du solltest darüber nachdenken. Ich finde es nämlich höchst erstaunlich, wie die meisten Pastorensöhne wieder Theologen werden. Es kann doch nicht angehen, dass sie sich alle im Ernst der Theologie zuwenden wollen?
Vielleicht möchten sie das ja. Später weiß ich das auch besser.
Sperr gleich die Ohren auf, Theo, ob dir was anderes gefällt. Mathematik beispielsweise, oder Naturwissenschaften.
Er blinzelte, nickte zaghaft. Die Sonne schien. In ihrer Erinnerung war es meist Sommer, wenn sie an die Kindheit dachte.
Sie erklärte Louis-Théodore noch, ihr Vater sei ja aus kleinen Verhältnissen gekommen, mit einem Postkutscher als Vater, und allein sein Talent zum Studieren habe ihn so weit gebracht, und es war eben so üblich, dass die Söhne einfacher Leute zum Studium die Theologie wählten.
Aber mit Sicherheit – sie sagte Sicherheit, weil es ihr Vater angedeutet hatte – hätte er gerne etwas anderes studiert.
Ob ihr Bruder sie verstand, wusste sie nicht. Sie hatte aber Lust, ihn zu piesacken. Wirklich fleißig war er nicht, immer nur brav. Meist zog er beim Nachdenken die Lider zusammen, krauste die Stirn. Er durfte später studieren. Mädchen studierten nicht. Kleiner braver Bruder.Wie er dann vor ihr hin trottete, stolperte er ein wenig über die breiten Sandsteinstufen, sein Hemd hing auf einer Seite aus der Hose heraus.
Stopf dir dein Hemd zurück, Louis-Theo.
Sie hatte Spaß daran, ihn so zu nennen, meistens nur Theo.
Endlich hatte er das Hemd zurück in der Hose, nestelte noch daran, als sie die Küche betraten.
Bonjour, Maman! Es duftete nach Eintopf. Steckrüben. Louis-Théodore hockte sich auf die Eckbank. Minna legte ihre und seine Bücher auf eine Kommode im Flur, hängte ihr Schultertuch auf, seine Strickweste daneben. Vier Fenster hatte die große Küche, man sah in den Garten hinterm Haus. Die Johannisbeeren waren überreif, fielen bald ab. Die Magd und die Mutter trugen das Essen auf, die Mutter wirkte müde. Minna glaubte zu sehen, dass bald ein neues Kind kommen würde. Das Gesicht und die Schultern der Mutter waren so schmal, der Blick fortdauernd angespannt, und unten herum war sie so rund geworden. Sie beteten, die Magd schöpfte dann mit einer riesigen Kelle den Eintopf auf die Teller. Der Vater war unterwegs. Wie so oft, seit sie in Barr lebten.
Setz dich gerade hin, Louis!, sagte die Mutter. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester.
Eine Minute mochte die Ermahnung halten. War aber der Vater nicht zu Hause, fühlte Louis-Théodore wenig Grund, sich an Unbequemlichkeiten zu halten. Und die Mutter war nachgiebig. Sie wies meist nur einmal zurecht, höchstens mit zischendem Ton auch ein zweites Mal. Wenn ein Kind käme, so ahnte Minna, müsste sie der Mutter fast rund um die Uhr zur Hand gehen. ImGarten warteten hundert Arbeiten. Es war Sommer. Und es waren bald Ferien.
Maman? Sie benutzte nun gerne das französische Wort. Der Mutter gefiel es auch.
Darf ich zur Rauscherin, wenn sie ihren Kindern heute im Garten Unterricht gibt? Sie will wohl die Früchte erklären und was mit ihnen gemacht werden kann. Welche auch Medizin sein können, erklärt sie. Das ist gewiss wichtig.
Die Mutter stimmte zu. Minna war erleichtert. Sie hatte zwar nach der Rauscherin gefragt, meinte aber jemand anderes. Sie wollte bei der Rauscherin endlich erfahren, wann Friedrich, ihr Sohn, in den Ferien hier sein würde. Vor zwei Jahren hatte sie ungeniert nach ihm fragen können. Jetzt nicht mehr. Und noch früher war sie mit Friedrich über den Kirchhof spaziert, sie hatte sich im Unterricht so gesetzt, dass sie den geringst möglichen Abstand zur Jungenbank hatte, wo der Friedrich ebenfalls am Rand saß. Er erklärte ihr gerne etwas. Sie hörte zu, selbst wenn sie das meiste schon wusste. Fast drei Jahre war er älter. Inzwischen ging er schon seit zwei Jahren auf ein Straßburger Gymnasium.
Sie sorgte sich,
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