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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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verstellen kann man sich wohl nicht, meinen Sie nicht, George?
    Aber nein, das nicht. Georg lachte still. Minna zog ihren Mantel dichter an sich, vergrub die Hände unter den Armen.
    Ja, man könnte ein Studium daraus machen! Wollen wir es eröffnen?
    Minna war amüsiert, sagte dann aber ernst: Bevor wir dieses Studium eröffnen, sollten wir die Kälte verlassen. Sehen Sie, Sie haben schon ganz rote Hände.
    Er hielt seine Hände in die Höhe, zuckte mit den Schultern.
    Ich kam hier heraus, um meinen Kopf zu kühlen. Der ist nun heiß geredet, und alles sonst ist kalt. Wissen Sie, Minna … Er stellte sich direkt vor sie. Wissen Sie, wenn es mir im Kopfe nicht wohl ist, alles Klare verschwunden, mir die Gedanken am Himmel abstoßen und er sie mir wieder wie zum Spott zurückwirft, dann möchte ich manchmal auf dem Kopf stehen oder gar gehen können. Womöglich würde in dieser verdrehten Position alles leichter erträglich.
    Minna schaute skeptisch, aber es gefiel ihr, was er sagte.
    George, Sie sind ein Gedankentaschenspieler.
    Eine herrliche Wortschöpfung! Sie könnte sogar passen. Doch spielen die Gedanken eher mit mir als ich mit ihnen.
    Und ein Wortheiliger sind Sie auch!
    Oh, das Prädikat des Heiligen steht mir gewiss nicht zu. Nein, meistens bin ich nur ein Narr. Aber: So wäre man doch was! Ein Narr!
    Ach ja, Shakespeare. »As You Like It«.
    Ertappt. Dies ist nicht von mir. Aber der Gedanke leuchtet.
    Die Narren sind die Weisesten, sagt man.
    Minnas Schultern zitterten. Vor Kälte? Oder weil sie lachte? Georg hätte es nicht sagen können.
    Wie geht der Text? Hab ich es parat? – »Oh, that I were a fool! I am ambitious for a motley coat!«
    Sie sprechen gutes Englisch, Minna.
    Aber nein, mein Bruder beherrscht es besser. Aber mit wem sollten wir hier schon Englisch sprechen?
    Sie reichte ihm ihre Hände.
    Und nun stehen wir immer noch in der Kälte! Ihre Hände müssen doch halb erfroren sein.
    Langsam steckte auch er ihr seine Hände entgegen. Sein Gesicht neigte sich zur Seite, mit einem seltsam schmerzlichen Ausdruck.
    George? Ihnen geht es wirklich nicht gut.
    Doch, doch. Jetzt geht es mir gut.
    Dabei nahm er ihre Hände, drückte sie, erst leicht, dann beherzter. Kurz war ihm, als müsste er sich Minnas Hände ans Gesicht ziehen.
    Haben Sie auch manchmal Angst, völlig fühllos zu werden, Minna? Wenn einen etwas von außen berühren muss, damit man sich selbst wieder fühlen kann?
    Minna verneinte mit einer leichten Kopfbewegung.
    Man möchte doch manchmal ins Gesicht geschlagen werden, um wieder das Leben zu fühlen. Ein körperlicher Schmerz tut oft diesen guten Dienst, Minna.
    Er bemerkte, wie sie seine Hände fester drückte. Dann ließ sie los. Ihm spukte etwas von der verborgenen Wollust des Schmerzes im Kopf herum. Ja, ja, die Gedanken spielten wieder mit ihm. Aber er wollte ihr gegenüber das Wort Wollust nicht aussprechen. Wollust! Bei Gott, welche Wollust ist es, sich zu fühlen!
    Jetzt ist es gut, George. Gehen wir hinein.
    Im Sprechen schloss sie die Tür des Verschlags, hob den Porree vom Boden auf.
    Ich koche Tee, und Sie gehen dann in Ihr Zimmer, um sich aufzuwärmen.
    Mit eiligen, viel zu eiligen Schritten ging sie voraus.
    Sie geht weg, denkt Georg.
    Warum laufe ich weg, denkt Minna, sieht sich in Barr die Kirchgasse hochlaufen, weg von Jean, weg von seiner Umarmung, die sie wollte. Doch sie durfte sich nicht umarmen lassen. – Minna muss lachen.
    Georg fragt sich: Warum lacht sie? Wegen mir?
    Wie oft hatte Gott mit mir schon gespielt, denkt Minna weiter, die Partien dann beendet? Wegen Friedrich oben im Pfarrhof in Waldersbach, da bin ich mit den tausend Menschen gezogen, auch weggelaufen.

Herbst 1844
    Diese Reise durfte Minna alleine antreten. Keine Vertraute wurde ihr zur Seite gegeben. Sie war eine Gouvernante auf der Heimreise. Nach Hause, nach Straßburg, endlich. Keine Pauline, keine Anweisungen für den Unterricht von den Müfflings mehr. Es gab keine Tränen zum Abschied. Minna war es recht so. Briefe sollte ihr Pauline schreiben, auf Französisch. Sie wird es brav tun, und Minna wird ebenso pflichtbewusst antworten.
    Zu den Büchners nach Darmstadt wollte Minna nicht nochmals reisen. Nicht im Geringsten dachte sie darüber nach, sich hierfür eine Ausrede einfallen zu lassen. Das musste sie nicht.
    Wie anstrengend eine Kutschfahrt doch ist.
    Die klagende Stimme der Dame zu ihrer Rechten unterbrach Minnas Gedankengang. Sie wusste ohnehin nicht, wohin dieser sie geführt

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