Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
Vom Netzwerk:
warf er genaue Blicke auf den Stickrahmen.
    Darf ich? fragte er und suchte schon im Nähkasten nach der Stecknadeldose, schüttete die Nadeln aus.
    Es ist etwas Fatales und auch Kurioses, die Sicht auf die Dinge, der Punkt, von dem man die Welt betrachtet. Lassen Sie mich … Ah, hier. Darf ich den Rahmen nehmen?
    Minna hielt den Kopf fragend etwas schräg, ließ die Sticknadel fallen und gab ihm den Rahmen.
    Sehen Sie? Er begann die Stecknadeln durch den gespanntenStoff hindurchzustecken, ganz dicht beieinander, damit die Köpfchen ein Muster zeichneten.
    Amüsiert lehnte Minna den Ellenbogen auf das Tischchen, das Kinn an die Hand. Er hatte sich mit einem Knie auf den Boden gestützt, war ganz eifrig, ganz nah bei ihr.
    Die zwei Seiten – ich möchte kurz sehen, welche Unterschiede man zeigen kann. Hier!
    Er wendete den Rahmen um und wieder um.
    Hier ein harmonisches Bild: Was sind wir alle gefällig beieinander. Und hier: die Kehrseite, die Stacheln, das Muster kaum zu erkennen. In die Höhe stakende Spitzen.
    Minna konnte zuerst nur seinen Blick einfangen, dieses Gemenge aus Spieltrieb, ernstem Nachdruck und Feuereifer. Wegen des Bildes, der Gegenseiten.
    Ja, aber ja, wie recht Sie haben. Sie strich mit den Fingern leicht über die Nadelspitzen. Zwei Seiten, zwei Welten.
    Und wenn nun der eine von ganz unten nach dort ganz oben blicken muss, in die gelangweilte, müßige Adelswelt, und gar kein vollständiges Bild von dort sehen kann, ihm alle Möglichkeit genommen wird, die Kehrseite, das Schlimme zu sehen, wenn er nur das Schöne glaubt, das ihm zum Betrachten gegeben wird, und ihm am Ende noch gesagt wird, dies sei Gottes Ordnung, ist das nicht – niederträchtig? Aber ich schweife ab. Verzeihen Sie, Minna.
    Aber nein, nein! Sie setzte sich aufrecht. Wie recht Sie haben. Man müsste doch Gerechtigkeit fordern können! Auf die Erlösung im Himmel zu warten ist im Leben auf Erden für die meisten ein trockenes Brot.
    Sie wog den Stickrahmen in den Händen.
    Mein Vater hat eine alte Zeitung aus der Revolutionszeit. Er hat so vieles aufgehoben, der Papa. Dort stand auf der Titelseite ein Gedicht. Es endet:
    »Wir armen Bauren werden wohl
    Im Himmel fronweis donnern müssen.«
    Georg nahm wieder Platz, ließ ihre Worte nachklingen. Wiederholte: »Im Himmel fronweis donnern müssen.« – Ja, auch bei Arnim taucht irgendwo dieses Bild auf. Ich denke, es war bei Arnim.
    Oh, wissen Sie noch wo? Ich fürchte, Papa hat in seiner Bibliothek nichts von Arnim.
    Dann werde ich es für Sie finden. Mir wird auch wieder einfallen, wo es steht.
    Mit feinen, schnellen Bewegungen zog Minna die Nadeln aus dem Stoff. Allesamt ließ sie geschickt im Schlund des schmalen Nadeldöschens verschwinden.
    Georg schaute genau zu. Was für hübsche kleine Hände. Welche Ruhe, hier allein mit ihrer Stimme, ihrem Gesicht zu sein.
    Mein Vater, sagte er, schrieb eine Abhandlung über einen Fall von Selbstmord durch Verschlucken von Stecknadeln.
    Minna schaute entsetzt. Du lieber Himmel! Das ist ja … grausam.
    Darauf stand er auf, mit einem leichten, zutraulichen Blick, der nicht zu dem passte, was er sagte: Auch nur ein Tod. Einer von vielen möglichen.
    ***
    An die Familie, im Dezember 1831
    Es sieht verzweifelt kriegerisch aus; kommt es zumKriege, dann gibt es in Deutschland vornehmlich eine babylonische Verwirrung, und der Himmel weiß, was das Ende vom Liede sein wird. Es kann Alles gewonnen und Alles verloren werden; wenn aber die Russen über die Oder gehn, dann nehme ich den Schießprügel und sollte ich’s in Frankreich tun. Gott mag den allerdurchlauchtigsten und gesalbten Schafsköpfen gnädig sein; auf der Erde werden sie hoffentlich keine Gnade mehr finden.
    Sein Zimmer war ihm wohlig, zuweilen etwas eng, besonders wenn ihm die Gedanken den Schädel zu sprengen drohten.
    Elend, elend muss man sich fühlen! Und dann noch hinüber in die Académie! Selbst der Blick aus dem Fenster kostet Mühe, für die es keinen Lohn gibt. – Kann er dies den Eltern so schreiben? Was sich das Hirn martern! Er wird tun, was ihm zu tun das Richtige erscheint. – Vorhin, da hätte er gerne noch Minna angetroffen im Zimmer. Aber sie war schon fertig mit dem Bettenmachen.
    Sie hatte ihm im Scherz versprochen, nur sie würde sich um sein Zimmer kümmern, nicht das Hausmädchen.
    Ganz zuverlässig immer Sie und nur Sie, Mademoiselle Minna?, hatte er eindringlich flüsternd nachgefragt, sich dabei am Geländer mit einer Hand festgehalten und seinen

Weitere Kostenlose Bücher