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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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hätte. Nach Straßburg. Sicher. So wie diese Kutsche sie nach Straßburg fuhr.
    Ich hatte es schon vergessen, sprach die Dame weiter zu ihrem Mann, einem hageren Menschen in flaschengrünem Rock.
    Es ist wirklich ermüdend, nicht wahr?
    Dabei sah sie zu Minna, die sich somit genötigt sah, die Aussage zu bestätigen. Ja, doch wenigstens haben wir schönes Wetter.
    Solche Belanglosigkeiten erschöpften Minna. Reisegespräche. Wie damals auf ihrer Fahrt nach Zürich zumkranken George. Und wie hatte George bei seiner ersten Ankunft in Straßburg auf Louis-Théodores simple Nachfrage, wie die Reise gewesen sei, geantwortet? – Wie eine Reise so ist. Anstrengend und schmutzig. – In Minnas Kehle killerte es, sie musste ein Lachen unterdrücken. Dieser leise Spott, die Angriffslust, mit der Georg damals doch Louis’ Sympathie gewonnen hatte und die ihre auch.
    Mit einem Räuspern vertrieb Minna das Lachen endgültig, es musste aber ihren Mitreisenden als Abwehr erscheinen. Draußen die Landschaft. Noch ein Rest Sommer in allem zu sehen. Über den Stoppelfeldern und Wiesen das dünne Gewirr von Spinnfäden unter der tief stehenden Sonne. Dazwischen Schatten von Gesträuch und buckligen Flussweiden. Wie in den Geschichten, die Mutter und Tante erzählten, von den alten unnütz gewordenen Weibern, wenn sie ohne Kind und Mann waren, dazu verurteilt, in alle Ewigkeit hinein die dünnen Spinnwebfäden auf Spulen zu sammeln. Sie dachte an ein Spinnlied vom alten Voß:
    Ich saß und spann vor meiner Tür,
    Da kam ein junger Mann gegangen;
    Sein braunes Auge lachte mir,
    Und röter glühten seine Wangen.
    Ich sah vom Rocken auf und sann
    Und saß verschämt, und spann und spann.
    Aber jetzt und hier durfte sie nicht singen. Die anderen Reisenden. Überall diese kläglichen Rücksichten. Ich bin ja kein Kind mehr.
    Piccola mia, du musst mir immer ein Lied singen, wenn es mir schlechtgeht, ja? – Allzeit singe ich dir ein Lied. – Deine innere Glückseligkeit. – Oh, die kommtnur dann und wann wieder. – Aber wieso? – Weil du mich verlassen hast, George. Und jeder von uns wurde einmal auf Rädern von Straßburg nach Zürich gebracht. Nur ich musste alleine zurück. Das weißt du nicht, da warst du schon tot.
    Ein Ganzes ist nicht zu fassen. Es gibt nur Stücke aus Erinnerungen. Aber das ist egal. Der Kopf webt sich ohnehin gerne alles zusammen, wie man es haben möchte. Ich bin ja nicht dagegen gefeit.
    ***
    Vier Jahre war sie nicht in Straßburg gewesen. Ihr Leben als Gouvernante war zu Ende. Die Rückkehr kam ihr schöner vor, als sie es sich erhofft hatte. Sonne macht alles einfacher, die Stadt lächelte. Die Kutsche fuhr in den Rabenhof ein. Die Poststation, der Ort, an dem ihr Vater aufgewachsen war. Minna war zu Hause. Doch wo war zu Hause? Das Gepäck durfte sie nicht in die Rue St.-Guillaume bringen lassen.
    In die Rue des Cordonniers Nummer 6, sagte sie sehr konzentriert. Zu Professor Schmidt.
    So war es seit Monaten vereinbart.
    Vier Jahre fort gewesen, und alles war wie gestern. Sie öffnete die Tür zum Haus der Schmidts, und die Luft einer bürgerlichen Alltäglichkeit kroch ihr entgegen. Bohnerwachs von den Dielen, dumpfer Kellerdunst geschwängert mit den Kräutergerüchen aus der Vorratskammer. Nicht die vornehme Kühle, die einem in Müfflings großem Haus in Mainz entgegenschlug, die an das Betreten einer Kirche erinnerte, wenn man die doppelflügelige Tür durchschritt und die alten Marmorfliesen vor sich sah. Wie ergeben war sie sich damals vorgekommen,ausgeliefert einem fremden Haushalt. Das nie mehr, hatte sie sich nun gesagt, geschworen wäre übertrieben. So weit hatte sie gelernt, sich nichts Grundsätzliches aufzuerlegen. Das Leben hatte ihr diktiert, was zu tun war. Gut, und nun hier bei Julie und Charles. Jetzt war sie die weitgereiste Gouvernante, die den Hauch einer größeren, wenn auch nicht besseren Welt mitbrachte. Aber wenn ihr wüsstet, dachte sie, dabei wünschte ich wie Lena in einer Scherbe zu sitzen, auf dem Land in einem Garten oder auf einer Fensterbank zu einer stillen Straße hin. Oh, wie hatte ich das Land verabscheut, und nun möchte ich nur Stille. Aber ich bin nicht Lena, mein Jammern wird nicht erhört, und kein neuer Leonce wird meinen Weg kreuzen.
    Sie schließt die Tür, die so schmal ist, dass sie nur einen Menschen hindurchlässt, sie legt die flache Hand auf das Türblatt, braun gestrichen, etwas rissig, im Schloss ein großer Schlüssel. Zu Hause. Aber wo ist das?

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