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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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Jetzt endlich, denkt sie, jetzt musst du draußen bleiben, George. Komme nicht mit herein.
    Aber ich gehöre zu dir. Ich kenne dich. Ich bin dein Leonce. Wir kannten uns nicht, und dann durften wir uns kennenlernen. Wir machten uns ein wenig ein lustiges Spiel und genossen unsere Heimlichkeit. Ich liebte unser Geheimnis so.
    Mich hat es krank gemacht.
    Übertreibe nicht, Minna, piccola mia.
    Meinen müden Augen ist jedes Licht zu scharf. Bleib draußen, George. Ich bin müde, nur müde.
    ***
    In ihrem Zimmer unter dem Dach breitete sich der Herbst aus mit früher Dunkelheit, den Tag verschluckten die kleinen Fenster unversehens hastig. Das Kanapee im Präsentierzimmer, hinten das Bett, beides gern genutzte Ruhelager. Die Müdigkeit. Eine trauliche Nachlässigkeit bemerkte Minna bald nach ihrer Rückkehr an sich. Nicht stets ordentlich zurechtgemacht sein müssen, den Hausmantel einfach über dem Nachtkleid tragen, welche Wonnen, oder sogar nackt durchs Zimmer gehen, ohne befürchten zu müssen, dass jemand klopfen oder nach ihr fragen würde oder die kleine Pauline hereinstürme. Was war es für ein Graus, in einem fremden Haus leben zu müssen. Hier ist es auch nicht das eigene, das hatte sie ja nie, aber es war ihre Wohnung, und es gab ein Anrecht auf Respekt und Rücksicht. Die für den Anstand gedachte spanische Wand, hinter der man sich umzuziehen hatte, benutzte sie eher als Kleiderablage. Vor wem sollte sie anständig sein? Vor sich selbst? Oh, lächerliche Vorstellung! Welt, was denken sich die Menschen aus? Den Nonnen, hörte sie, hätte man verboten, an ihren Leib zu denken. Minna schien, man hätte allen unverheirateten Mädchen verboten, an ihre untere Körperhälfte zu denken. Doch der Leib vergisst nicht, an sich zu erinnern! Was denkt ihr euch, was? Es ist schön, für sich zu sein und über seine Tagesordnung, seinen Kopf und – oh, bitte ja – über seinen Leib zu verfügen.
    Hier erschien ihr mit einem Mal ein gewisser Vorteil gegenüber den verheirateten Frauen, die, wenn man es genau betrachtete, ihren Körper ihrem Manne übergeben haben, der ein Verfügungsrecht darüber beanspruchte. Für Minna gab es diese Verpachtung ihres Leibes auf Lebenszeit nicht. – Hier auf dem Sofa oder drüben im Bett,keiner darf mir sagen, wann ich liege und wie ich liege, ob und wann ich an meinen Leib denke.
    Oder selbst die Lektüre. Hörte sie nicht unlängst Charles mit Julie darüber sprechen? Charles gab einen Kanon der Bücher vor, die in seinem Haus vorhanden sein durften. Der Inhalt dieses Kanons erschien Minna im Gegensatz zu ihrer väterlichen Bibliothek etwas zu sehr zum Vorteil der Theologie auszufallen.
    Nur reden konnte sie selbst mit Julie über solche Dinge kaum. Über die körperlichen Dinge? Über die konnte eine Frau, noch dazu unverheiratet, ja kaum mit ihrem Arzt sprechen. Dabei war der Boeckel doch – vorgestern konnte sie es wieder bei seinem Besuch feststellen – ein höchst unkomplizierter Mensch, der unter dem Deckmantel seiner Phrasen die pikantesten und empfindlichsten Gegenstände ansprechen konnte, seien sie medizinischer, philosophischer oder politischer Natur. – So sagte er: Es war nie ennuyant, ich hatte einige aventuren. Und: Sei es auch unpassend, über Frauenzimmerkrankheiten zu sprechen, so muss ich doch erwähnen … und dann schilderte er ausgiebig das Touchieren einer Schwangeren und eine schwierige Auskultation. – Konnte sie ihn nicht ansprechen, wegen der Stiche, hier unten links? Woher sollte sie denn wissen, was da sein konnte?
    Minna streckte sich auf dem Sofa aus. Sich nur nicht echauffieren. – Der gute Eugène. Wie herzlich hatte sie lachen können, wenn Georg ihn nachahmte, dieses Geplauder mit französischen und lateinischen Einwürfen: Ich darf einen Gruß entbieten, nun ja, habe recht wenig depensiert, so circiter die Hälfte meines Hausstandes, tja, dazumalen – daselbst – ja, da hatte man noch force!Und ich sage: Sed absint politica! Définitivement! – Und im Gegensatz dazu Georgs brennende, präzise Reden, nur wenn er zu sehr Feuer fing, wurde er überschwänglich, aber nie sprach er in halben Sätzen.
    Und er meinte: Siehst du, Minna, solche Menschen wie Eugène, solche mag man. Mich scheint man nicht oft zu mögen. –
    Minnas Kopf sank tief ins Kissen, die Hand über ihrem Kopf wurde schwer. Boeckels Briefe damals, mit all den medizinischen Berichten, die ihr Georg vorenthalten hatte. Sie hätte so gerne etwas erfahren, um zu lernen, um etwas

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