Büchners Braut: Roman (German Edition)
zögerlich, als würde sie einzelne Punkte in seinem Gesicht betrachten. Es machte ihn nervös.
Ja, sagte sie leise, fast stimmlos. Dann kamen Lucius und das Hausmädchen.
Was machen Sie nun eigentlich, Monsieur Büchner?
Minna stand auf, zog ihren Mantel an.
Ich? Nun, ich komme mit Ihnen in die Kirche. Ich möchte Ihren Vater hören.
Dies hatte sie beruhigt, aber hatte sein Anschluss an den Kirchgang nicht gerade diesen Zweck? Er hatte doch nicht wirklich mitkommen wollen. Es war eine Entschuldigung.
***
Mit dem Korb am Arm ging Minna bis zur Küche, ohne den Mantel abzulegen. Endlich in der Wärme. Ihr Tuch warf sie über einen Stuhl. Sie atmete durch. Es war still. Am frühen Vormittag war es stets so still hier, als gehörte das ganze Haus ihr. Was für eine nette Vorstellung! Unsinn. Papperlapapp!
Langsam öffnete sie die Knebelverschlüsse an ihrem Mantel, ging wieder hinaus in die Diele, nach rechts hinter zum Hof. Von dort durch einen offenen Gang im folgenden Quergebäude zum zweiten Hof, am Ende dort ein eisernes Türchen, der Eingang zum Pfarrgarten neben der Kirche. Schon beim Öffnen des Türchens sah sie ihn. Er stand da, allein mitten im Garten, ohne Hut und Mantel, nur seinen Polenrock hatte er an. Als er das Türchen schnarren hörte, sie heraustrat ins Helle, wandte er sich zu ihr, ohne im Geringsten seinen Gesichtsausdruck zu ändern, mit dem gleichen Blick, mit dem er gerade die Kirchenfenster betrachtet hatte.
Ist das nun der Beginn einer Partie, denkt Minna, legt jetzt Gott die Karten aus? Spielt er eine Patience? An den Partner, den Büchner vor Tagen als den Teufel benannt hatte, will sie jetzt nicht denken. Gott soll alleine spielen, mit den Bildern von Minna und Georg.
Bonjour, Mademoiselle Minna, sagte er, als sie vor ihm stand. Selten war er in so großer innerer Ruhe zu sehen gewesen. Fast apathisch wirkte er.
Gut, spielen wir, dachte Minna und fragte: Gestatten Monsieur die Frage, ob Sie sich langweilen?
Sein Mund löste sich lächelnd, ohne Zuckungen.
Ich weiß nicht recht. Der gestrige Abend war ausgiebig mit Wein, Gesang und Zigarrenqualm angereichert, dass mein Kopf wohl heute das Wort Langeweile nicht fassen, geschweige denn diese empfinden könnte. Die Marter darin überschattet leider jegliche feinere Regung.
Er führte seine Hand bedacht langsam an seine Stirn. Eine Geste, die Minna kannte und meist als Entschuldigung deutete. Mit verständigem Ton sagte sie: Wenn Sie etwas brauchen, kommen Sie zu mir in die Küche.
Hier, Mademoiselle! Er deutete auf seine Augen. Wissen Sie, ich wünschte mir, Sie könnten zu meinen Augen in meinen Kopf hineinsehen und schauen, was mir fehlt. Wäre dies nicht phantastisch für uns Ärzte, den Menschen in den Kopf schauen zu können?
Zwar dachte Minna nun: Ja, Ihnen würde ich wohl gerne in den Kopf schauen können!, aber sie wandte sich leicht ab, wollte sich ihrer Arbeit zuwenden, nicht ohne ihn dabei keck anzusehen.
Ihre Gedanken sind jedenfalls noch recht rege. DerAbend gestern tut Ihrem Geist keinen Abbruch. Seien Sie beruhigt.
Sie ging zu einem kleinen Holzverschlag, dem Winterlager für das Gemüse.
Übrigens, wenn man es nur recht weiß wie, kann man sehr wohl in den Augen der Menschen nach ihrem Befinden suchen, George.
Vor dem Verschlag duckte sie sich, öffnete ihn, schlug ihren Mantel zur Seite, raffte die Röcke etwas. Sie beugte sich in die niedrige Tür und begann, einige mit Säcken und Erde bedeckte Kisten hin und her zu schieben.
Können Sie dies, Minna, in den Augen das Befinden lesen?
Georg war näher herangetreten.
Aus der Höhlung des Verschlags drang ein Auflachen.
Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich es zu können.
Jetzt legte sie vier Porreestangen auf den Boden und erhob sich.
Ich meine sogar, man könnte ein Studium daraus machen.
Sie wischte die Hände an der Schürze ab. Eiskalt waren sie nun.
Ja, Minna, und dies hätte nichts mit der sogenannten Physiognomik zu tun.
Oh, sicher nicht! Minna schüttelte nachdrücklich den Kopf. Ich habe schon in den armseligsten und hässlichsten Gesichtern die edelsten Augen gesehen.
Georg zeigte sich begeistert. Die ehrlichsten Blicke, die nackten Regungen, ja, diese liegen in den Gesichtern der einfachen Leute, weil man ihnen nicht beigebracht hat, sich zu verstellen. Und dann stellen sich die Gebildetenhin und sagen dem Volk dumpfen Sinn und Grobheit nach.
Nun fasste er sich wieder kurz an die Stirn, als schmerzte ihn der Kopf.
Vollkommen
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