Büchners Braut: Roman (German Edition)
gerichtet.
Jetzt zog Minna das Handtuch fester um sich, trocknete ihre Beine, Adele reichte ein Handtuch für die Haare, ihre Hände und Arme berührten sich, denn Adele breitete es bereits aus, als Minna danach griff, Adele wollte es ihr über den Kopf legen. Sie lachten.
Danke, Adele, danke. Wie gut so ein Bad tut.
Verlegen lächelte Adele.
Adele, wohin gehen Sie an Ihren freien Tagen? Sie sind doch noch zu jung, um brav bei Ihrer Mutter in der Küche zu sitzen.
Adele gluckste. Nein, bei meiner Mutter sitz i nit. Mit meiner Schweschter aber, mir gehe ab und zu naus in die Wanzenau.
Hübsch! Und die Burschen? Ich meine Männer. Burschen sind ja grünes Holz für Sie.
Vor Lachen zuckten Adeles Schultern. Für mi nimmer!
Und was ist mit dem Kutscher? Der sieht Sie doch gerne?
Na, der Kutscher, der hat ei Junge an der Angel!
Einen Moment blieb Minnas Blick zu ernst auf Adeles Gesicht geheftet. Der Kutscher hofierte hier Adele Tag für Tag, sie kicherte mit ihm vergnügt und wusste, dass er sich eine Junge ausgeguckt hat, die wohl die besseren Karten hatte.
So, eine Junge hat er?
Adele schaute verdutzt. Nu, so isch es halt. Bei uns … i mein’, bei die älteren Mädle weiß mer halt net, wie es noch isch, mit dem Kinderkriegen.
Minna wandte sich um, sagte: Ja, ja, so wird es wohl sein, klang dabei unwirsch, warf das Handtuch über einen Stuhl und zog sich an. Ihre nassen Haare hingen in langen, dichten Strähnen über ihren nackten Schultern.
Wollte sie Adele nicht fragen, ob sie es nicht auch schon gewagt hatte, darauf gepfiffen hatte, was die Leute sagten, sondern sich hingegeben, die Liebe genossen hatte? Sie durfte nicht fragen, und Adele durfte nicht antworten.
Aber wie groß ist die Skala der Liebe, und wie vieldavon kannte sie schon? Am Ende kannte Adele einen größeren Teil, und sie, Minna, hatte zu wenig gewagt. So wenig von alldem!
Adele begann aufzuräumen, raffte das gespannte Laken zusammen und fragte: Kennen Sie au desch Lied:
Rosmarin und Thymian
Wachst in unsrem Garte.
Liewer Vater, kauf m’r e Mann,
Ich ka nim länger warten.
Roter Win, Zucker drin,
Liewer Hansel, du bisch min!
Kurz konnte Minna lachen, gezwungen und sicher nicht herzlich.
Ja, ich kenne es.
Des könne Sie Ihre kleine Mädle beibringe. Ich hab’s sehr gern g’sunge als Kind.
Minna dachte kurz nach.
Meine Mutter hatte es mir so beigebracht, wie sie es aus dem Breisgau kannte:
Petersilien Suppenkraut
Wächst in unsrem Garten
Unser Ännchen ist die Braut
Kann nicht länger warten
Roter Wein, weißer Wein
Morgen soll die Hochzeit sein.
Ein hübsches Lied, ja, aber sie wollte es ihren kleinen Mädchen im Unterricht nicht beibringen. Dabei gefiel ihr das Unverblümte in der elsässischen Version:
Liewer Vater, kauf m’r e Mann,
Ich ka nim länger warten!
Minna nahm das Handtuch unter den Arm, grüßte Adele im Gehen und lächelte ihr noch einmal zu. Wie sollte Adele ihre Gedanken verstehen! Sie lächelte, um sich zu entschuldigen, um zu sagen, denke nicht weiter darüber nach, du liebe, gute Seele, was ich fragte, du bist nicht so dumm wie ich, so dumm, die Jahre über in Gedanken an einer Liebe zu hängen und dann alt zu werden. Und dann bist du alt – alt – alt!
Ihre Schritte hallen im Takt der Worte über die Steinfliesen im Flur, die Treppen hinauf, dann zuletzt die Wendeltreppe zur ihrer Wohnung, im dusteren Winkel zum Dach hinauf und hinter ihr keine Schritte, nur der gedachte Verfolger, und Georg fragt:
Was denkst du ans Altwerden, Minna? Was redest du mit der Adele über solche Sachen?
Ja, du, du bist wieder da! Ich muss mit jemandem reden, auch über solche Sachen, auch mit anderen Menschen möchte ich reden!
Nicht wieder wollte sie ihn Tag und Nacht bei sich spüren, mit ihm reden müssen, nicht wieder so wie damals, nach seinem Tod. Weg, weg mit diesen Gedanken! Er war doch schon so weit entfernt gewesen. Sie hatte gedacht, in Mainz hätte sie endlich alles abgelegt, die inneren Gespräche mit ihm wären versiegt. Aber der Ludwig war da und mit ihm so viel Vergessenes. Nichts bleibt ewig vergessen! Ihr Schritt wird schneller, die Haare tropfen noch leicht. Sie stolpert, bleibt stehen und dreht sich um.
Ich bin doch bei Sinnen und weiß, er ist tot!
Im Halbdunkel der Treppe schaut Georg zu ihr hoch, den Zylinder in den Nacken geschoben, die hohe Stirn ihr entgegengestreckt, eine leichte Empörung im Blick.
Die Frage, Minna, wie viele Weiber man nötig habe, um die Skala der Liebe
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