Büchners Braut: Roman (German Edition)
auch das weiß ich doch schon.
Drüben unter dem Baum erwachte ihr Vater, und mit der Frage, wo sie denn bliebe, kam Lucius auf sie zu. Der Automat musste wieder funktionieren, den Alltagabspulen. Einen Augenblick stellte sich Lucius vor sie hin, schaute beide an, und Minna wie Georg war, als müsste er bereits alles wissen.
Schwer lösten sich ihre Füße von der Stelle. Äste knackten unter ihrem Tritt.
Minna half ihrem Vater, der seine Glieder streckte, aufzustehen. Er fragte sie dann: Posso avere qualche lamponi?
Dies war ein Wort ihrer Kindheit. Lamponi – Himbeeren. Sie liebte die kleinen tiefroten Lampions. Und so lehnte sie sich kurz fest an seine Schulter, sagte: Sì, sì, papà, te ne porto.
Dabei wollte sie ganz etwas anderes sagen und nur weinen. Es tut mir leid, Papa, es tut mir leid.
Im Stellwagen hatte Minna dann ihren Willen. So sah es Georg. Er saß ihr nicht direkt gegenüber, sondern schräg links vor ihr, in einer Ecke, und lehnte am Verdeckträger. Er schloss die Augen. Zwei lange Locken fielen ihm über die Stirn, seine Cravate hatte er gelöst, das Ding, das er so hasste, wie ein Schal hing sie ihm über der Brust. Dabei ist er sonst so eitel, dachte Minna.
***
Der Sommer stand im Zenit. Nur noch wenige Wochen bis zu den Sommerferien. Georg würde sie in Darmstadt verbringen.
Am 19. Juli war die letzte Zusammenkunft der »Eugenia«. Auf dem Nachhauseweg musste Georg es nun Eugène sagen. Er brauchte ihn. Von allen Freunden sollte er es sein. Keinesfalls der Verwandte Edouard Reuss oder Minnas Bruder Louis.
Verlobt, wiederholte Eugène das Wort. Das fahle Laternenlicht sowie die Kühle und Stille der Nacht schien beiden die passende Atmosphäre für diese Unterredung. Kurz war Eugène so ernst wie selten, und Georg glaubte, sich getäuscht zu haben.
Oui, o ja, George, ich habe es geahnt, du hast recht. Aber dann doch nicht … dran geglaubt.
Glaub es nur, Eugène.
Gut, gut, ich bin ein süperber Geheimnisträger, und die Briefe … keine Sorge, ich bin eine vorzügliche Brieftaube.
Jetzt umarmte Georg den Freund, fest, stürmisch, und sagte: Komm, trinken wir noch ein Bier.
Sie fanden im »L’Ours Blanc« noch einen Tisch und sprachen über die »Eugenia«, die sich nun leider auflöste.
Er ist der Richtige, übermittelte Georg anderntags an Minna. Er will dir meine Briefe bringen und sendet deine zu mir.
So war es endlich ausgemacht, und Minna war verblüfft, wie ruhig und eifrig Georg bei ihrem Vater saß und sich von ihm im Italienischen unterrichten ließ. Es muss ja Geheimnis bleiben, sagte sie sich abends und morgens, und durfte nicht lächeln, weil Georg nur mäßige Fortschritte im Italienischen machte.
Ich fürchte mich vor den Wochen in Darmstadt.
Aber George?
Das Ende der Ferien gar nicht abwarten? Bald zurück nach Straßburg kommen? Aber wie, Minna?
Er konnte für seine Eltern keinen plausiblen Grund erfinden, früher zurück nach Straßburg zu gehen. Es warauch eine Geldfrage. Man hat seine Abhängigkeiten, sagte er.
***
Der Sommer 1832 war aufregend genug. In der Pfalz drüben das gewaltige Hambacher Fest. In Frankreich wieder Unruhen in Lyon und Paris. Die Gespräche darüber wirkten auf Minna wie eine passende Dekoration zu ihrer Stimmung.
Wird es Aussichten geben? – Die Frage Louis-Théodores konnte Georg nicht gleich richtig einordnen. Auf dem Küchentisch verteilten Minna und das Mädchen die Tassen, gossen Kaffee ein.
In Deutschland, Büchner, meine ich. Nun nach dieser grandiosen Zurschaustellung der deutschen Opposition in Hambach?
Nun, Louis, es war grandios, ja, jedoch die Wirkung lässt auf sich warten. Und – was ist Deutschland? Du verwechselst es mit Frankreich. Das ist ein Land. Deutschland ist eine Anlage von Schlagbäumen.
Herrgott, Spielverderber, weiche nicht aus.
Aber Georg biss zur Antwort kräftig in sein Brot.
Sie haben doch mit Menschen gesprochen, die dabei waren.
Minna überzog die förmliche Anrede »Sie« an Georg nun gerne mit gespielt spitzem Ton, wie einen kleinen Pfeil. Er fing den Pfeil, mimte den Gereizten.
Ja, das habe ich. Sie stürzen alle vom Rausch in den Katzenjammer.
Mein Gott, Büchner, Sie sind Pessimist.
Ich fürchte, ich sage lediglich, wie die Dinge eben sind.Abends eine neue Gesprächsrunde. Es wurde erzählt, wie beim Leichenzug des oppositionellen Abgeordneten Lamarque ein schwarzer Reiter mit einer roten Fahne vorausritt, auf der Fahne stand »La liberté ou la mort«.
Da sah Minna vor sich
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