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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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weiterbringt. Wir leben in die Utopie hinein.
    Seine Augen flackerten. Er ist jung, dachte Minna, und seine Begeisterung so tief wie die Georgs. An guten Tagen war das innere Leuchten groß gewesen. Wenn er an seine Freunde in den Friedberger und Darmstädter Gefängnissen dachte, war er zerrüttet.
    Sie glauben doch an Gott, Minna, nicht wahr?
    Aber ja.
    Haben Sie mit Georg über Gott gesprochen?
    Nun ja, sicher.
    Was sagte er? Glaubte er – oder wollte er glauben? Erklärte er, warum er nicht glaubte?
    Minna sah Ludwig an, erst überrascht, dann belustigt, fast mitleidig lächelnd.
    Aber Ludwig. Nun, ich erinnere mich nicht genau,und das, was ich weiß, ist meine Erinnerung. Aber sagen wir … er war dankbar, wenn ich ihm sagte, ich habe für ihn gebetet.
    Ludwig öffnete den Mund, brachte aber nichts hervor. Er glaubte, mit ihr reden zu können wie mit einem Kommilitonen. Über Gott und die Welt, wie man sagte. Nein, er wollte von ihr hören, wie Georg dachte, was er dem Glauben noch hätte abgewinnen können.
    Aber in dieser Weise konnte sie nicht mit ihm sprechen. Stattdessen stand sie auf, ging zum Sekretär und öffnete die Türchen, die Fächer.
    Es war nicht das erste Mal, und Ludwig beobachtete sie dabei fast schüchtern, ihre kleinen, etwas rundlichen Finger streiften kundig und routiniert durch die Papiere, ihr Rücken leicht gebeugt, weich, der Scheitel bis in den Nacken sorgfältig gerade gezogen, zwei lockere Haarschnecken von unsichtbaren Kämmchen über den Ohren gehalten.
    In den Fächern lagen die Schriftstücke. Ludwig hatte nun das meiste gesehen. Die kleinen Briefbündel, mit verschiedenfarbigen Bändern zusammengehalten, kannte er nicht. Briefe von Georg. Sicher. Die mit dem roten Band? Was gab es noch zu sehen, was er nicht kannte? Wie viel verbarg sie?
    Ludwig sah zur Seite in ihre »behägliche Wohnung«, wie er später schreiben wird, die kleinen Stühlchen für die Kinder, darauf lagen die Rechenmaschinen. Im Regal daneben ein Kistchen mit Pinsel und Schreibstiften, dann ein winziges Modell eines Webstuhls.
    Minna wandte sich wieder Ludwig zu, blieb vor ihm stehen und sah auf die Papierbögen in ihrer Hand.
    Es war kein Zögern, eher feierliche Besinnung.
    Dies hier, Louis, kann Ihnen sicher nützlicher sein als mir. Die Arbeit über Spinoza. Was soll dies bei mir? Es will doch noch verwendet werden. Ja, nun hier – nehmen Sie.
    Er streckte die Hand aus, nahm es an.
    Danke. Danke, Minna. Er lachte glücklich.
    Ja, er ist zufrieden, dachte Minna, sagte: Georg wäre es sicher lieb so gewesen.
    Dies sind keine Ausarbeitungen. Nur Übersetzungen und Exzerpte aus anderen Werken. Sie haben ja schon darin gelesen und wissen, er wollte Vorlesungen darüber halten.
    Ja, ja.
    Und die Sprache der Philosophen! Habe ich es erzählt: George schimpfte so über diese künstliche, unmenschliche Sprache und meinte, für menschliche Dinge sollte man auch eine menschliche Sprache finden.
    Das sagte er? Ludwig strich über die Seiten.
    Ja, das sagte er. Ich weiß nicht, wie weit er hierfür einen Weg gefunden hätte.
    Wir wissen nicht, welche Wege er gefunden hätte.
    Am 4. Dezember 1844 hatte Minna Ludwig Büchner das Spinoza-Manuskript übergeben. Vielleicht gab sie es ihm, weil es sie am wenigsten interessierte.
    Einige Jahre danach wird Ludwig sie um Georgs Briefe bitten. Sie gab ihm Abschriften. Auch von »Leonce und Lena« und vom »Lenz« gab sie nur von ihr gefertigte Abschriften weiter. Die Originale behielt sie.
    Ludwig war ein liebender und bewundernder kleiner Bruder. Er suchte das kurze Lebensbild seines Bruders. Dazu brauchte er Minna. Sie war nicht seine Schwägerin,aber sie war eine Komparsin seiner Familie, die Dinge aus Georgs Hand verwaltete. Wie viel davon hatte sie ihm vorenthalten? Er wusste es bis zu seinem Lebensende nicht wirklich.
    Es wird zum Streit kommen, zum Bruch. Diese unglückselige Geschichte, später, als Ludwig Georgs Briefe an Minna veröffentlichte. Später! Es wird noch viele »Später« in Minnas Leben geben. Sie lebte noch so lange.
    Mit dem Spinoza-Manuskript unter der Pelerine ging Ludwig auf die Rue des Cordonniers hinaus. Er wird über seinen Bruder schreiben. Sechs Jahre später gab er die »Nachgelassenen Schriften« heraus. Er wollte der Welt seinen Bruder erhalten. Die wollte aber die nächsten fünfzig Jahre wenig von ihm wissen. Wenn der Name Büchner fiel, dachte man an ihn, an Ludwig. Er erklärte der Welt die Untrennbarkeit und die Unsterblichkeit von

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