Büchners Braut: Roman (German Edition)
tief ein. Ein weiterer Tag zu Ende. Ruhe. Selige Ruhe.
Ein Tuch legte sie auf einen Stuhl vor dem Ofen, damit es warm wurde, eines zum Zuber, dann zog sie sich aus.
Die Adele kam mit dem schweren, heißen Topf voll Wasser. Aufpassen, Mademoiselle!
Merci, merci! Minna stieg in den Zuber, der heiße Schwall des Wassers verteilte sich. Adeles Blicke lagen dabei stets so treu und selbstverständlich auf Minnas Haut. Zwei Frauen, ungefähr gleich alt und gleich groß, nicht mehr jung, aber eigentlich nicht das, was alt genannt wird. Adele trug die Bänder an ihrem Hemd offen,oder sie wollten bei der Arbeit nicht halten, und die Schweißtropfen perlten ihr über den Ausschnitt in die Mitte des Dekolletés.
Ist’s recht, Mademoiselle Jaeglé?
Aber ja, Adele, wunderbar. Und Minna dachte, die Adele sei eine hübsche Frau.
Frau Wirtin hat auch eine Magd … die sitzt im Garten und pflückt Salat … Adele, wissen Sie, wie das Lied weitergeht?
Sie kann es kaum erwarten, kam die Antwort aus der Küche, wo Adele wieder den Kaffee mahlte.
Ah ja! – Minna summte wieder die Melodie.
… die sitzt im Garten und pflückt Salat,
sie kann es kaum erwarten,
bis dass das Glöcklein zwölfe schlagt,
und Adele sang mit:
da kommen die Soldaten.
Minna schaut über die leicht dampfende Wasserfläche. Die Knie schauen heraus. Das Wasser hebt leicht ihre Brüste an, streichelt, wärmt. Stolz und fest schwimmen sie, die dunklen Brustwarzen zeigen sich über dem Wasser. Sie streicht über ihre Schenkel. Wie vor zehn Jahren, denkt sie. Etwas üppiger, etwas runder, noch fest und glatt.
Dieses wöchentliche Begutachten ihres Körpers gehörte zum Bad. Wirkliche Veränderungen in den letzten Jahren konnte sie nicht feststellen. Aber was wusste sie schon, wie eine Frau alterte? Wie sahen all die Frauen aus, die verheiratet waren, Kinder geboren hatten?
Da sitzt man nun mit seinen vierunddreißig Jahren im Bade, freut sich, nackt zu sein, und die Ärzte predigen,eine Frau über dreißig sei zu alt, ihr erstes Kind zu bekommen. Gefährlich sei es, sagte ihr letzthin Boeckel. Er schwätzt ja gerne, aber er wird als Arzt wissen, was er sagt. Aber die, die geheiratet haben, bekommen dann bis weit über die vierzig noch Kinder! Wie soll sie das verstehen?
Jetzt lässt sie sich langsam mit dem Kopf unter Wasser sinken. Das zarte Kribbeln in den Haaren, wenn sich sacht das Wasser einsaugt. Eine Kinderei, eine Freude. Unter Wasser die Augen öffnen. Ein verschwommenes Bild von Knien vor dunklem Holz.
Sie tauchte auf. Drüben, hinter dem Bettlaken war die Tür zu hören, ein schwerer Schritt. Der Kutscher kam herein, grüßte Adele. Die schenkte ihm heißen Tee ein. Einen Moment lauschte Minna den kargen Worten. – Die Haare. Ich muss mir die Haare noch waschen. – Nie ließ sie sich stören beim Bad, wenn jemand in die Küche kam, und sie wollte Adele jetzt nicht bitten, ihr zu helfen.
Sie nahm die Schale mit dem Seifenpulver, vermischt mit Eigelb und Honig, verteilte es auf dem Kopf.
Du willst nicht aus dem Wasser, dich anziehen? – So könnte er fragen, George, mit seiner etwas spitzen Stimme, wenn er pikiert war.
Nein, ich möchte nicht. Warum bist du jetzt so nah? Als du lebtest, warst du oft neben mir und hundert Jahre weg!
Jetzt würde er sich auf den Schemel setzen, die Beine übereinanderschlagen, das Kinn aufgestützt. – So, Minna?
Ja, so! Aber du bist nicht hundert Jahre weg, nur tot, und steckst mir im Sinn. Weil Ludwig da war. Dein Bruder.
Jetzt verabschiedete sich der Kutscher von Adele, rief auch einen Gruß zu Minna hinter das Laken, und sie sagte:
Au revoir, Monsieur.
Wie viele Erlebnisse werden einem Mädchen, einer jungen Frau zugestanden, um sich als Frau in jeder Facette zu erleben?
Sie streicht den Schaum aus dem Haar, taucht noch einmal unter.
»Wie viele Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen?«
Dieser Satz!, denkt sie. Warum hast du mir diesen Satz zugesteckt?
Wenige Sätze aus seinen Manuskripten waren ihr so haften geblieben. Eine hübsche Überlegung.
Das Wasser wird kühl. Sie muss das Bad beenden, drückt das Wasser aus den Haaren, fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. – Wie groß ist die Skala der Liebe? – Was weiß ich davon?
Kaum stand Minna im Zuber auf, war auch schon Adele neben ihr, hielt eines der gewärmten Handtücher ausgebreitet, bereit, Minna einzuwickeln. Wie hübsch sie dies tat, die Augen so brav ins Nichts und doch auf Minna
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