Büchners Braut: Roman (German Edition)
gleich.
Sie hielt im halberloschnen Blick
Noch Flammen ohne Maß zurück,
All itzt in Andacht eingehüllt,
Schön wie ein marmorn Heiligenbild.
War nicht umsonst so still und schwach,
Verlassne Liebe trug sie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie stets an der Erinnrung sog:
An ihrem Brotschrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr stand,
Und wenn ein Schlaf sie übernahm,
Im Traum er immer wieder kam.«
Er hat sie gemeint, sagte Minna.
Wen?
Na, die Brion, Goethes Friederike.
Die in Sesenheim? Ja, er hat das Gedicht Goethe geschenkt.
Aber nicht nur das, George. Der alte Stoeber hat darüber geschrieben: Der Lenz hat die Brion hofiert.
Und dann hatte Georg ihren Vater gefragt, der es bestätigte. Die Stoebers haben ihm später alles zu lesen gegeben, und danach erst hatte Georg geglaubt, dass Lenz in Friederike verliebt gewesen war.
Aber mir hattest du es nicht abgenommen!
Die Frage ist die, warum er sich in sie verliebt hatte.
Muss man denn die Liebe hinterfragen?
Nein, aber er hatte sie aufgesucht, weil er von Goethes Liebe wusste.
Dann wollte er zunächst nur durch sie etwas über Goethe erfahren?
Er wollte das Mädchen sehen, in das sein Vorbild verliebt war.
Und wenn er sich in sie verliebte, dann womöglich nur, um ihm gleich zu sein? Mein Gott, George!
Vielleicht. Georg angelte sich zwei Kekskringel aus einer Dose, hielt sie sich nah vor die Augen, zwinkertedurch die Löcher. Nun, wenn er sie geheiratet hätte, wäre er gleich gut aufgehoben gewesen bei seinem Schwiegervater, statt bei Oberlin im Steintal das Heil zu suchen.
Aber George …
Wenn ihm das Gänslein ein, zwei Kinder geboren hätte …
Monsieur Büchner, George! Das Gänslein?
Friederike, Rieke, Frieda. Gäh, gäh, Gänslein. Dann hätte es ganz gut mit ihm werden können. Aber er wäre mir nicht so interessant geworden.
Der arme Mann, George, wie er so dahinvegetierte, so ohne rechtes Glück.
Ihr Weiber denkt zu gut über uns Männer.
Bevor Minna antwortete, hielt er ihr einen Keks hin, sie biss hinein, und er schob seinen ganz in den Mund. So kauten sie beide, brav und schweigend, als der Vater zurück in die Stube kam.
***
In diesen Monaten brachte Georg einen neuen Freund mit ins Haus. Alexis Muston. Er erzählte gerne, war belesen, und er zeichnete. Minna mochte seine Besuche, Georg war dann ausgeglichen und zeigte sich im Gespräch sehr lebendig. Muston studierte Theologie, aber nebenbei auch Medizin.
Der erste Theologiestudent, den ich wirklich mag, dachte Minna. Sie lobte Georg für diese Bekanntschaft.
Du findest bei ihm das, was du bei Eugène und den Stoebers vermisst. Gib es zu. Er ist auch revolutionär.
Das stimmte. In etlichen Gesprächen war es herauszuhören. Der schmale, dunkle junge Mann passte zu ihremGeorge. Er war einer, der für ihn zu einem lebenslangen Freund werden konnte. Denn das ist etwas Seltenes, sagte Georg, während Minna ein paar Kerzen ansteckte und die Gesichter im gelblich milchigen Schein betrachtete: das ihres Vaters mit seiner langen Tonpfeife, die er nur noch selten rauchte, Louis-Theo mit weit von sich gestreckten Beinen im Sessel versunken, Muston aufrecht, den Blick eifrig auf alles und jede Regung im Raum gerichtet, und Georg, mit seinem sardonisch leidenschaftlichen Zug um den feinen Mund, jeden Moment zu einem Gespräch bereit, sein Blick flackernd.
Vater Jaeglé bemerkte dazu: Glaubt mir, wenn man als alter Mann ins Grab steigt und bis dahin eine Handvoll guter Freunde gewonnen hat, kann man sich mehr als glücklich schätzen.
Eine zartblaue Rauchwolke folgte weich seinen Worten. Georg war von dem Satz für Momente wie erstarrt, sah von Jaeglé zu Minna, schließlich zu Muston und sagte: Dies hat etwas Entsetzliches. Doch so ist es: Wer kann schon Freund genannt werden.
Alexis Muston legte eine Hand auf Georgs Arm. Ich werde dich in Darmstadt in den Ferien besuchen. Das verspreche ich dir.
***
Die Nachricht vom missglückten Sturm auf die Frankfurter Haupt- und Konstablerwache im April 33 zog schnell bis nach Straßburg. Eine geplante Erhebung in Deutschland sollte eine konstitutionelle Monarchie oder auch eine Republik auf den Weg bringen. Aber schon darin war man sich uneinig gewesen. Dazu kam eine konfuse Koordination der einzelnen Verbände.
Georg wurde von einer völlig fahrigen und niedergeschlagenen Stimmung erfasst. Ein wirklicher Revolutionsversuch in Deutschland! Wie er diese Wochen ohne Muston überstanden hätte, mochte sich Minna kaum vorstellen.
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