Büchners Braut: Roman (German Edition)
Ihr Vater und sie selbst hätten Georgs Gedanken kaum folgen können.
Auch hatte er Angst, Freunde von ihm könnten in »die Sache«, wie er sagte, verwickelt sein. Dies hatte seine Gründe, immerhin hatte es für diese Kampagne einen Straßburger Planungsstab gegeben, dem Ehrenfried Stoeber angehörte, der Vater seiner Freunde August und Adolph.
In Georg wechselte ein dumpfes Brüten mit einer Raserei über die Dummheit dieses Vorganges ab. Der »Courrier du Bas-Rhin« mit seinem Beilagenblatt »Das constitutionelle Deutschland« wurde sein ständiger Begleiter.
Welch eine Verblendung, entrüstete sich Georg, zu glauben, die Deutschen seien ein zum Kampf bereites Volk. Ich zweifle wirklich daran. Und dabei diese Stümperhaftigkeit! Die Sache war verloren, bevor sie begann.
George, wie viel hast du gewusst?
Nicht viel und doch einiges zu viel. Es hat Pläne gegeben seit dem Hambacher Fest.
Und er hatte davon gewusst! Dies sei keine Kunst, man spreche in den Sociétés davon, klärte er Minna auf. Nun sah sie ein: Georg redete nicht nur von möglichen Änderungen der Verhältnisse.
Minna, an wen soll ich in diesem Affentheater, das sich Leben nennt, noch glauben?
An seine Eltern schrieb er:
»Wegen mir könnt Ihr ganz ruhig sein; ich werde nicht nach Freiburg gehen, und ebenso wenig wie im vorigen Jahre an einer Versammlung teilnehmen.«
Konnte es wahr sein, was er da behauptete? Er kam oft spät nach Hause und wollte nicht von dem erzählen, was er draußen tat, mit wem er sprach. Minna war, als müsste sie jeder Minute, in der sie mit ihm reden konnte, hinterherhetzen.
Einen weiteren Brief an die Eltern las er ihr vor:
»Ich werde zwar immer meinen Grundsätzen gemäß handeln, habe aber in neuerer Zeit gelernt, dass nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, dass alles Bewegen und Schreien der Einzelnen vergebliches Torenwerk ist. Sie schreiben – man liest sie nicht; sie schreien – man hört sie nicht; sie handeln – man hilft ihnen nicht. Ihr könnt voraussehen, dass ich mich in die Gießener Winkelpolitik und revolutionären Kinderstreiche nicht einlassen werde.«
Diese Zeilen sollten nicht nur seine Eltern, sondern auch sie beruhigen.
So, und nun denke nicht darüber nach, Minna. Deutschland lebt noch im Kindergarten, wenn es um Revolution geht. Das Volk zieht noch geduldig den Karren, auf dem die Herrschaften ihre Komödien spielen.
Er setzte seine Brille auf, und durch die kleinen Gläser sah sie einen Blick, der sehr weit von ihr entfernt war. Hundert Jahre weit.
Und dann war da dieser Ort, dieses Gießen. Dorthinmusste Georg im Herbst, sein Studium weiterführen. Kein Weg ging daran vorbei.
Minna stellte sich diesen Ort vor, ein Dorf, sagte Georg, das von Studenten heimgesucht wird, der Geruch von Mist um winzige Fachwerkhäuser. Aber hieraus sprach Georgs Angst, wieder in die deutsche Provinz gehen zu müssen. Sie bedauerte ihn.
Und wer bedauert mich? Nun, George, sag?
Du hast es gut, du lebst hier in Straßburg.
Aber du wirst nicht hier sein, und ich weiß nicht einmal für wie lange.
Ich komme. So oder so. Wenn das Studium beendet ist, sicher.
Dann träumte Minna von Gießen, wie Georg in einem Bett schlafen musste, das zu klein für ihn war, und als er wieder nach Frankreich wollte, verwehrte man es ihm. Er muss doch zu mir kommen! – Im Aufwachen dachte sie an die neueren Grenzkontrollen, die keinen ohne penible Prüfung der Papiere ins Land ließen. Der Maire hatte bekanntgemacht, jeder habe die Beherbergung eines Fremden, und sei es nur für eine Nacht, zu melden. Auf die »Politischen« hatte man es abgesehen. Die wurden abgeschoben, ins Innere oder in die Schweiz. Flüchtlinge! Flüchtlinge! George ist kein Flüchtling! Er muss zu mir kommen, und ich muss ihn nicht melden!
Bis dahin ist alles wieder besser, lieb Kind.
Bis dahin kannst du deine Verlobte besuchen. Daran kann dich doch keiner hindern? Oder? Sag es mir!
Wie eng alles beieinanderlag. Kontakte und Übermittlungen allenthalben. Wie war es sonst möglich, dass Georgüber Pläne unterrichtet war, die auf dem Hambacher Fest beschlossen wurden, ohne selbst dort gewesen zu sein? Sie konnte es nicht ändern, aber seine Freunde, seine Verbündeten, von denen sie so wenig wusste, kamen ihr wie Diebe vor. Sie stahlen ihr zu viel von Georg. Nicht die Brüder Stoeber oder Eugène Boeckel, nein, die waren nicht politisch, das wusste sie. Auch nicht Edouard Reuss, der Gute. Der
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