Büchners Braut: Roman (German Edition)
auf rotem Grund die Aufschrift: »George ou la mort«. Und sie ging noch weiter in ihren Phantasien, es könnte auch »George et Minna« daraufstehen, jedenfalls eine festliche Ankündigung ihrer Zweisamkeit.
Die Émeute ging von Lyon aus, Papa?
Nein, die Beerdigung von Lamarque war in Paris. Er war Abgeordneter, mein Kind.
Ja, ja, aber …
Dann schlug alles Wellen: bewaffneter Aufstand. Mein Gott! Und nun bis hier zu uns!
… es wäre doch gar nichts passiert, Papa, wenn man nicht provoziert und auf dem Paradeplatz gleich Infanterie schussbereit mit Gewehr im Anschlag aufgestellt hätte.
Kind, woher hast du das?
Papa, alle Leute sagen das. Ich habe Ohren und einen Kopf.
Sie hatte es gesehen und gehört, wie die Arbeiterfrauen auf dem Markt schrien, dass sie sich demnächst bei den Reichen bedienen wollten.
Sie wissen, wo die Geschäfte und die Getreidespeicher voll sind. Wie kann es so weit kommen, Papa?
Aber Jaeglé gab mit einer unwirschen Handbewegung zu verstehen, er wollte nun nichts weiter dazu sagen. Ein Kranker erwarte ihn.
Georgs Ferienaufenthalt in Darmstadt dauerte fast drei Monate.
In den Briefen nur alltägliche Bemerkungen, melancholische Sehnsuchtsbezeugungen? – Mademoiselle jolis pieds et jolies mains. – Ja, ich bin es, und wo bist du, mon cher? –
Eugène überbrachte die Briefe, und an Georg schrieb er: Sie seufzt! Noch zwei Monate lang!
Ende Oktober, im gedämpften Herbstlicht, fuhr Georg wieder über die Pappelalleen und zwischen Krautfeldern und kahlen Weinreben Richtung Straßburg. Sein Zimmer war bereitet, die grüne Tapete leuchtete, Minnas Wangen auch. Er sagte: Ich habe dich jeden Abend gerufen und geküsst. Glaubst du es?
Wie es in Straßburg so weiterging, hätte er gerne in ihren Briefen erfahren. Er meinte die Unruhen.
Gab es noch Verhaftungen, Durchsuchungen?
Aber gewiss. Hast du es nicht zu Hause in den Journalen lesen können?
Lieb Kind, glaubst du, die deutschen Zeitungen täten gut daran, über die Aufstände in Frankreich ausführlich zu berichten?
Viele junge Republikaner waren bereitgestanden, nach Paris aufzubrechen, an den Kämpfen teilzunehmen. Wenige waren tatsächlich dort gewesen. Georg suchte sie auf im »Au Miroir«, im »Cigogne« und im »Pélican«.
Und wirklich, man hatte schon Namen genannt für die Besetzung einer neuen Regierung, falls ein Umsturz gelingen sollte. Und nun? – Man sagte ihm, es habe sichnicht viel verändert, nur dass die Spitzel jetzt in Straßburg noch schamloser geworden seien.
***
Beim Billardspiel scheint mir die Stimmung nicht so lebhaft und ausgelassen wie ehedem, erzählte Georg in der heimeligen Küche, wo auf dem Herd ein Bottich mit Weißwäsche brodelte, in dem wohl auch seine Hemden schwammen.
Ich denke, nur für kurze Zeit, meinte Minna.
Georg schaute sie an.
Aber ja doch, George, die Burschen haben schnell neue Ideen, neue Kraft. Nicht wahr?
Du meinst Ideen sind es? Eher Flausen! Kindereien!
Aber George, du willst doch auch …
Es geht nicht so Hals über Kopf, mit Aufständen, Protesten, Straßenkämpfen. Das fordert nur unnötige Tote.
Sie stellte ihm eine Tasse Tee hin. Englischer, sagte sie, setzte sich zu ihm an den Küchentisch, dachte, dass George hübsch sei in seinem Ernst. Über anderes wollte sie jetzt nicht grübeln. Nur nicht sorgen, wenn es ihr schon einmal gutging. Der Dampf aus dem Bottich hatte ihr einen Kranz feuchtkrauser Haarsträhnchen um die Stirn gelegt.
Erzähle mir etwas. Von den Cafés, von euren Abenden dort.
Mit dem Kinn auf die Faust gestützt, überlegte er.
Nun, als wir an den Tischen saßen beim Bier, da hing gerade gegenüber an der Wand eine Tafel. Mit einem Spruch.
Jetzt holte er eines der Bestecke vom Tisch zu sich. Minna ahnte Gedankenspielerei.
So, sagte er, legte Messer und Gabel kreuzförmig übereinander. So hingen zwei Rapiere an der Wand, darunter ein Totenkopf und darüber eben diese Tafel mit einem Gedicht:
Wer für des Volkes Ehre fällt
Und würd er auch gehangen
Der hat auf dieser Erdenwelt
Das schönste Los empfangen.
Minna lehnte sich zurück. Dieses Gedicht, wenn es eines ist, George, nun, ich meine, es ist recht martialisch.
Hm, ja, Minna. Er umfasste die Teetasse mit beiden Händen. Es ist gut gemeint, aber vor allem ist es fürchterlich schlecht gedichtet.
Eigentlich wollte Minna nicht lachen, aber sie musste. Sie hielt sich zu sehr an die Worte eines Gedichts, als dass sie über dessen Qualität sprechen konnte.
Und wenn es auch
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