Büchners Braut: Roman (German Edition)
Darmstadt bleiben. Als Minna keinen Brief von dort erhielt, tröstete Eugène sie vage, schmückte aus oder fiel in Schnörkelreden: Mademoiselle, bei seinem Vater, der ist Arzt, dieu merci, wie Sie sehr gut wissen, doch, doch, unser George ist gut versorgt.
Somit wusste sie nichts, wurde blass und stand mit fahrigem Blick vor ihrem Vater, der kopfschüttelnd sagte: Ruhe dich aus und gib Bescheid, wenn du einen Arzt brauchst. Es klang wie eine Anweisung, dem Arzt Rede und Antwort zu stehen, warum sie so kränklich war, da er wie alle Väter hinter der weiblichen Blässe Frauenleiden vermutete, die nur ein Arzt erschließen sollte.
Dem Bruder war das stille Wesen seiner Schwesternicht geheuer. Es gab Gerüchte in Büchners Freundeskreis. Jedenfalls erkundigte sich August Stoeber bei Boeckel, ob sich da wohl etwas anbahne, zwischen dem Freund Büchner und der liebenswürdigen Mademoiselle Jaeglé. Aber Eugène hatte sich unwissend gestellt, antwortete am 23. November: »Von Jägle, Büchner weiß ich nichts.«
Endlich schrieb Georg. Die politischen Verhältnisse würden ihn rasend machen. Minna wurde über seine Abwesenheit rasend. Nesselausschlag, Halsschmerzen, gereizte Töne gegen die Dienstmagd, den Bruder. Sie wollte es Georg nicht ersparen, von ihrem Zustand zu berichten.
Ich muss, ich kann es nicht anders sagen, ich muss dir sagen, wie elend mir ist. Letzte Woche Fieber, Kopfschmerzen. Doch ich will ja alles ertragen, wenn ich nur weiß, dir geht es wieder gut. –
Dieser eine Gedanke bleibt, wenn Minna sich unter ihre Bettdecke verkriecht: wenn ich nur weiß, dir geht es wieder gut! Und zu ihren Füßen muss eine Wärmflasche die Haut des Geliebten ersetzen.
Ab Mitte Januar kommen seine Briefe wieder regelmäßig aus Gießen. Minna geht ans Fenster, schaut in die Sonne, in deren restlichen Schein, der zwischen den steilen Hausdächern hervorlugt. – Ich lese deine Briefe, ich schreibe dir, ich schreie stumm in mich hinein. Wie sollte ich je ohne dich leben? Ich habe dir mein Leben überlassen, mon cher. Beweise mir, dass du mich noch sehr liebst, indem du bald wieder etwas von dir hören lässt. Sehnst du dich nach mir? Ich zweifle nämlich. –
Gießen, zwischen dem 10. und 20. Januar 1834
Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei sei. Hügel hinter Hügel und breite Täler, eine hohle Mittelmäßigkeit in allem; ich kann mich nicht an diese Natur gewöhnen, und die Stadt ist abscheulich. Bei uns ist Frühling, ich kann Deinen Veilchenstrauß immer ersetzen, er ist unsterblich wie der Lama. Lieb Kind, was macht denn die gute Stadt Straßburg? Es geht dort allerlei vor, und Du sagst kein Wort davon. Je baisse les petites mains, en goûtant les souvenirs doux de Strasbourg. –
»Prouve-moi que tu m’aimes encore beaucoup en me donnant bientôt des nouvelles.« Und ich ließ Dich warten! Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es war mir unmöglich, nur ein Wort zu schreiben. Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhne mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinemesser. Das muss ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muss ja Aergernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – es ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen.Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an Deine Brust legen! B. wird Dich über mein Befinden beruhigt haben, ich schrieb ihm. Ich verwünsche meine Gesundheit. Ich glühte, das Fieber bedeckte mich mit Küssen und umschlang mich wie der Arm der Geliebten. Die Finsternis wogte über mir, mein Herz schwoll in unendlicher Sehnsucht, es drangen Sterne durch das Dunkel, und Hände und Lippen bückten sich nieder. Und jetzt? Und sonst? Ich habe nicht einmal die Wollust des Schmerzes und des Sehnens. Seit ich über die Rheinbrücke ging, bin ich wie in mir
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