Büchners Braut: Roman (German Edition)
schlecht gedichtet ist, sind dir die Worte wichtig? Wie ist es dir damit?
Zu einer Antwort kam er nicht mehr. Schlag ein Uhr kamen die anderen zum Essen in die Küche. Minna und das Mädchen füllten die Teller, als alle saßen. Das übliche Scheppern und Löffeln setzte ein.
Minna bat Georg, das Gedicht zu wiederholen, damit es die anderen hörten.
Und Papa, Ihr sagt uns dann, was Ihr dazu denkt. Ihr könnt es am ehesten beurteilen, Ihr seid auch Dichter.
Kein richtiger. Ich bin ein Pfarrer, der dichtet.
Oder ein Dichter, der Pfarrer ist, betonte Minna.
Georg wiederholte den Spruch – er sagte Spruch, nicht Gedicht – mit übertrieben gespieltem Pathos und tiefer Stimme. Louis-Théodore fügte mit gestrecktemArm und Messer in der Hand dazu: Auf in den Kampf, es lebe die Revolution!
Alle lachten. Bis auf Jaeglé. Minna bemerkte es zuerst, hörte auf zu lachen. Allmählich verstummten alle.
Kinder, ihr wisst doch gar nicht, was Revolution ist.
***
Louise?, fragte Georg nach, lachte auf. Louise – Louise, wiederholte er, bis das Wort auf der Zunge zerging. Minna hörte ihm zu. Ach, George. Sag immer Minna zu mir.
Ihr erster Vorname war fast in Vergessenheit geraten.
Vater Jaeglé hatte ein paar Seiten dünnen Papiers hervorgekramt, aus dem Schrank in der Stube im ersten Stock, dem Raum, den Georgs Mutter Salon nennen würde, dem Empfangszimmer, in welches er am ersten Tag geführt worden war.
Hier, sagte Jaeglé, lieber Büchner, ich habe Besseres geschrieben, aber ich war jung, und man muss sich in allem üben.
»Ode an Ihre Majestaet die Kaiserin Koenigin Marie Louise von Österreich«, las Georg. »Sei willkommen in dem Land der Franken, Holde Kaisers-Tochter, Kaisers-Braut«.
Es war wegen der jungen Kaiserin, Marie-Louise. Man hatte so große Hoffnungen, und da hat Papa mir als ersten Namen Louise gegeben.
Fast wie eine Entschuldigung klang es.
Die gute Marie-Louise, Napoleons Österreicherin. Georg las weiter.
»Sieh! Wie jeder Blick, um Dir zu danken,
Friedens-Engel! Auf Dich freudig schaut!«
Aber ich denke, die Zeiten waren vorbei, wo Ehenzwischen Dynastien ein Bündnis für den Frieden stiften konnten. Hat auch nie so recht gehen wollen.
Minna mochte es, wenn ihr Vater und Georg sich über die Dichterei unterhielten. Über den verrückten Dichter Lenz wollte Georg alles wissen, und von Jaeglés Freund Oberlin, der den verwirrten, melancholischen Mann bei sich aufgenommen hatte.
Was er mit dem Lenz denn anfangen wolle, fragte sie, aber das konnte er nicht sagen. – Noch nicht, sagte er. Er ist mir bisher nur vertraut.
Vertraut?
Ich meine, er ist mir ähnlich. Oder ich ihm.
Da dachte Minna über Lenz nach, über das, was sie von ihm erfahren hatte, von ihrem Vater und den Stoebers, die über Lenz und Oberlin geschrieben hatten. Er war offensichtlich krank und verwirrt zu Oberlin gekommen, ging dann elendig ohne Existenz und Brot einem Ende in völliger geistiger Verwirrung entgegen. Und George sagt, er sei ihm ähnlich?
In eben jenem Schrank lag auch der Musen-Almanach, der Band für das Jahr 1798, in dem ihr Vater das Gedicht »Das Meer« veröffentlicht hatte. Sie blätterte und suchte, wollte es Georg unbedingt zeigen.
Dies ist mir das liebste von Vater, sagte sie ihm. So fängt es an:
»Ergötzend ist und schön das Meer,
Wann seine Silberwellen,
Ums Schiff in gleichem Takte her
Sich mit Gemurmel schwellen.«
Sie legte das Buch auf das Kanapee neben sich, neigte den Kopf zur Seite.
Er hat das Meer gesehen, George, und ich nicht. Ich will es so gerne einmal sehen.
Ich habe es auch noch nicht gesehen, Minna. Wir sind so ans Land gebunden. Würden wir nicht erschrecken?
Er wippte mit dem übergeschlagenen Bein, und wieder war aus seiner Stimme nicht zu hören, ob er sie ernst nahm oder neckte. Sie musterte ihn einige Augenblicke, mit leicht spöttelnd verzogenen Mundwinkeln, ein Lächeln und doch keines. Dieser Ausdruck hatte sich bewährt, wenn sie nicht wusste, ob alles nur Scherz war, was er sagte.
Ich weiß etwas, sagte sie plötzlich. In diesem Musen-Almanach ist auch die »Liebe auf dem Lande« von Lenz. Lass sie uns lesen.
Nun lies, Minna. Sofort hörte er auf, mit dem Fuß zu wippen.
»Ein wohlgenährter Kandidat,
Der nie noch einen Fehltritt tat,
Und den verbotnen Liebestrieb
In lauter Predigten verschrieb,
Kehrt einst bei einem Pfarrer ein,
Den Sonntag sein Gehülf zu sein.
Der hatt ein Kind, zwar still und bleich,
Von Kummer krank, doch Engeln
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