Büchners Braut: Roman (German Edition)
altes – nein – tiefstes Problem. Sie wissen, das Buch, die Briefe. Ich schäme mich heute noch, gar vor den engsten Freunden, wenn ich daran denke, dass sie sie lasen, die Briefe, die für mich bestimmt waren.
Ach, beste Freundin, mit der Zeit kommt auch das Vergessen.
Jedoch etwas Gedrucktes hält lange stand dagegen, Eugène, und Ludwig ließ Georgs Schriften ja gerade daher drucken, damit sie nicht vergessen werden.
Oui, wie recht Sie haben, aber Ihre Bekannten verstehen Sie alle, dies wissen Sie, waren ebenso entrüstet. Und der Rest der Welt soll Ihnen gleich sein.
Im Gehen sah sie kurz in sein Gesicht, suchte vergeblich nach dem nötigen Ernst in diesen Sachen. Aber gerade sein legerer Geist machte es ja leicht, mit ihm darüber zu sprechen, daher fragte sie weiter: War ich damals zu brüsk, zu aufbrausend? War es angemessen, in solcher Wut zu reagieren?
Nun, beste Freundin, es war die Verletzung durch diese Indiskretion. Man hätte Sie fragen müssen. Da man es nicht tat, ist Ihre Haltung gerechtfertigt.
Georg war so eitel und eigen, wenn es um das Persönliche ging. Meine heiligsten Geheimnisse, sagte er damals nach der Durchsuchung seines Zimmers, in den Händen dieser schmutzigen Menschen! Briefe von mir, von Alexis und von Ihnen, Eugène. Und in diesem Buch nun? Die liebsten, geheimsten seiner Briefe an mich: vor den Augen der Öffentlichkeit! Ist es nicht so, als hätte man das, was George am wichtigsten war, das Geheimnis der Briefe, gebrochen?
Eugène schwenkte seinen Stock. Es hat seine Üblichkeit, Briefe Verstorbener zu publizieren.
Ja, etwas, was mir nie so geheuer war, ich bin von Natur aus nicht allzu neugierig veranlagt.
Sie sah darüber hinweg, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte, und setzte nicht mehr nach.
Unten an der St.-Pierre-le-Vieux sagte er: Und hier wurden Ihre lieben Großeltern getraut.
Sie schauten beide hoch, zu den Türmen, oder eher noch in die fallenden Blätter.
Dieser Wind.
Und dabei ist es so lau.
Oktober, bald November.
Jetzt setzte er den Hut ab, sagte: Was soll’s? Auf der Stelle waren seine Haare zerzaust. Trotzdem blieben beide noch etwas im Schutz des öffentlichen Platzes vor der Kirche, um weiter unverfänglich nebeneinanderstehen zu können.
En public, sagte er, ist man oft erstaunlich großzügig unter den Menschen.
Ein Blätterwirbel drehte sich um ihre Füße.
Sie kommen, Eugène? Zu meinem Geburtstag am 15. zum Tee?
***
Zu diesem Geburtstag würde wie jedes Jahr das Unvermeidliche passieren, einer der Gäste wird den Verlobten erwähnen, oder »unseren guten Georg«, oder »Freund Büchner«.
Boeckel trat mit dem Ausruf: Beste Freundin! in das Esszimmer, eilte mit eleganten Schritten auf Minna zu. Dieser Geburtstagstee versöhnt mich mit dem Beginn der dunklen Jahreszeit. – Madame Schmidt. Er verneigte sich, begrüßte dann Charles Schmidt und Wilhelm Baum, der sogleich ankündigte, nicht lange bleiben zu können. Boeckel war spät, wie meist.
Baum! Auf die Konversation mit dir freue ich mich seit Wochen. Wo sollte ich dich sonst treffen?
In meinem Gottesdienst, lieber Boeckel.
Alle lachten. Baum legte sich ein letztes Stück Kuchen auf den Teller, während Boeckel Edouard Reuss und Minnas Cousin Viktor begrüßte.
Meist begann Wilhelm Baum von »Freund Büchner«zu sprechen, was er aber heute unterlassen hatte, da er riskierte, besonders von Madame Schmidt oder von Viktor Jaeglé barsch zurechtgewiesen zu werden. Die Familie hielt sich geradezu unverbrüchlich an Minnas Verbot, die Büchners und somit auch Georg zu erwähnen.
Baum wollte aufbrechen, ging umher und reichte allen die Hände.
Si diis placet, rief Boeckel, so werden wir uns spätestens nächstes Jahr hier wiedersehen.
Er sagte meist: diis. Gott in der Mehrzahl, denn Gott habe zahlreiche Gesichter, wie er meinte. Der eine samt seiner Lehre reicht mir, rief Viktor unter lachender Zustimmung von Edouard und Charles.
In der verkleinerten Runde, ohne ihren trägen, dickbauchigen »Pädagog« Baum, begann Boeckel von der farbigen und prächtigen katholischen Messe zu schwärmen. Das Auge bekommt dabei etwas geboten, sagte er.
Minna stimmte zu. Es steckt so viel Anschaulichkeit in der katholischen Liturgie, die Menschen fühlen sich angesprochen, buchstäblich eingenommen.
Äußerlichkeiten, sagte Charles, und Julie unterstützte ihren wortkargen Mann. Die Aufforderung, ins innere Gespräch mit Gott zu gelangen, ist dem protestantischen Glauben wichtiger.
Ohne
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