Büchners Braut: Roman (German Edition)
tun, in der Erziehung der Kinder, wie du, liebe Minna. – Ja, dies war ihr Weg. Welcher bliebe sonst? So hat man seinen Platz in der Familie.
Man verabschiedete sich bis auf Viktor, der zu Besuch aus Ageux angereist war, wie öfters im November zu Minnas Geburtstag. Drei Tage konnte er so der praktischen Gemeindearbeit entfliehen, um mit Charles und Edouard im Gespräch sich frischen Geist aus dem Neuen Testament zu holen, wie er keck formulierte, wobei er das Portweinglas gegen das Licht hielt. Die kleinen Freuden, ihr Lieben.
Die gute Stube, das geregelte Leben. Wie sie da sitzen, so restlos zufrieden, dachte Minna und lächelte, da ihr in dieser Runde immer Georgs Ausspruch von den »trockengelegten Sümpfen der Theologie« einfiel. Sie verlorden Anschluss ans Gespräch, sah Julie-Pauline beim Sticken zu und dachte an das Buch oben im Regal.
Seite um Seite reißt sie heraus, reißt sie bedächtig in kleine Schnipsel, die sie in den Kamin fallen lässt. Dies könnte auch ein Weg sein. Oder nur dumme Boshaftigkeit, wie Julie-Pauline sie tadeln würde, die erstaunlich scharfsinnig sein konnte. – Eine Backfischflause, Minna, mit der du nur dich selbst triffst. – Und alles andere, die restlichen Briefe, das Tagebuch, die Manuskripte? Alles in Stücke, in den Kamin, ins Vergessen. Julie, gib mir eine Antwort. Keiner gibt Antworten. Eugène nicht, und wen sonst kann ich fragen. Der Bruder ist in London, Vater ist tot, und der große Vater im Himmel ist stumm.
***
Der Wind wehte nicht mehr wie noch vor wenigen Tagen. Ein metallenes Graublau schwebte am Himmel, hielt die herbstlich klare Stille über der Stadt. Minna stand am Fenster, und wenn Julie nun gefragt hätte: Was denkst du?, dann hätte sie gesagt: An nichts Besonderes. Nichts.
War es etwas Besonderes, über Georg und Eugène nachzudenken? Nichts weiter als ein Faden alter Erinnerungen.
Georgs Erklärung, warum er gerade ihn zum Vertrauten ihrer Liebe gemacht hatte, war ihr einleuchtend gewesen: Weil er zu denjenigen gehört, Minna, die, wenn sie ernst genommen werden, mit ehrlicher Freundschaft danken. Und: Von allem, was mir Eugène sagte und schrieb, ist er überzeugt, er meint es so, wie er es sagt. Er ist ein Genießer, ein Sanguiniker, nenne es, wie du willst,aber er nimmt sich ernst, so wie er ist. Und er nimmt uns ernst. So wie er nicht die Monarchien hinterfragt, so hinterfragt er nicht unsere Zuneigung, deine und meine. Ich sage: Schweige bitte, und schreibe ihm: Gib diesen eingelegten Brief an Minna, und er tut es.
Ja, er tat es, er schwieg, nahm die heimlichen Briefe in Empfang und gab sie weiter.
Der liebe Eugène! War er nicht derjenige, der für seinen wie für Minnas Vater damals (ein wenig, wenn auch in reiner Vernunft betrachtet) nicht ganz unberechtigt den Kandidaten als Minnas Bräutigam abgab? Väter, die sich als alte und beste Freunde bezeichnen, denken sich zuweilen solche Wunschbilder aus.
Aber da war dieser junge Mensch, der eines Tages zu ihnen ins Haus gekommen und tolles Zeug gesprochen hatte. »Ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen.« Auch hatte sie sich bald an seine spitze Physiognomie gewöhnt, die stechenden grauen Augen, denn die wurden hell, wenn er in ausführlichen Sätzen begeistert sprach, wobei sein sardonisches Lachen ihn oftmals bei anderen nicht sympathisch machte. Aber gerade in der Aufregung eines Gespräches konnte er das Zucken um die Mundwinkel kaum unterdrücken.
Doktor Ernst Büchner hatte von der zukünftigen Frau seines Sohnes Georg ein anderes Bild als das einer Pastorentochter aus der schlichten Elsässer Verwandtschaft seiner Frau. Sein Zorn auf Georg war übergroß, vielmehr sein Zorn über Georgs Eigenmächtigkeit, über den Kopf des Vaters hinweg eine Lebensentscheidung zu treffen. Hatte Minnas Vater ihr lediglich die Verheimlichung übelgenommen, war Georgs Vater fast so weitgegangen, ihm jede Unterstützung zu versagen und ihn einer ungesicherten Zukunft auszusetzen. Georg hatte Angst vor seinem Vater. Er, ihr George, der in brennenden Sätzen die schmählichen Verhältnisse der deutschen Regierungen anprangerte, war vor seinem Vater ein ängstlicher Junge geblieben.
1834, Darmstadt
Im September sollte es so weit sein. Der Vorstellungsbesuch Minnas in Darmstadt. Gutes Reisewetter konnte man erwarten. Ihre Tante Margareta hatte sie auf der Reise begleitet.
Bei der Ankunft auf dem Luisenplatz fühlte Minna die Aufregung wieder sehr stark. Man hatte sie nicht ohne
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