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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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der von
     immer weniger Menschen erwirtschaftet wird, deren Zahl in Zukunft wirklich sehr klein sein könnte.« 365
    2. Der Fordismus revolutionierte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nicht allein die Arbeitsweise, das Produktionsregime;
     er verstand sich als Auflösung des Widerspruchs von Wirtschaft und Gesellschaft, von Arm und Reich. Wer gut arbeitete, sollte
     auch gut leben, materiell gesehen; er mußte es sogar, der Akkumulation des Kapitals zuliebe. Produktion UND Absatz verzahnten
     sich in der Mitte, in der Arbeit. Die Qualität der Arbeit entschied über die Güte der Produkte, die Quantität über deren Umfang.
     Die Lösung des Problems, beides zu steigern, lag in hohen Löhnen. Nur gut bezahlte Mitarbeiter gingen sorgsam zu Werke, ertrugen
     die Eintönigkeit und das hohe Tempo der Fertigungsprozesse mit Geduld, in stiller Vorfreude auf den Genuß ihrer nun reichlicher
     bemessenen Entschädigung. Die Lohnfrage schafft neun Zehntel der psychischen Probleme |313| aus der Welt, und die Konstruktionstechnik löst die übrigen, das war die Überzeugung. 366 Die Aussichten erschienen um so glänzender, als sie sich auch auf den Absatz erstreckten. Auskömmliche Löhne steigerten die
     Produktivität und die Aufnahmefähigkeit des nationalen Marktes. »Autos kaufen keine Autos«, belehrte Henry Ford eine über
     seine Lohnpolitik gleichermaßen verblüffte und verärgerte Unternehmerschaft. Daß der Arbeiter die hochwertigen Waren begehrte,
     die er herstellte, genügte nicht; um die engen Kapazitätsschranken von Produktion und Nachfrage zu durchbrechen, mußte er
     sie auch erwerben können. Der Übergang zu serieller Massenproduktion, zum Massenverbrauch, ruhte auf den Schultern des Arbeiter-Konsumenten,
     der seinerseits in Massen, in Kolonnen ging.
    3. Die »Masse«: Kaum ein Phänomen aus der Epoche der Hochindustrialisierung hat Künstler, Philosophen, Wissenschaftler in
     gleicher Weise beeindruckt, fasziniert, erschreckt. Straßen, Fabrikhallen, Büros, Arenen und Paläste der Zerstreuung – alles
     schien von der Masse okkupiert, durchdrungen, in ihren Rhythmus einbezogen, von ihr in Marsch gesetzt. Das Individuum hatte
     Gott aus seinem Innersten vertrieben, in den Tod gestürzt; verführt, verzückt von einem Götzen, beging es nunmehr kollektiven
     Selbstmord. Die Soziologisierung des Weltbildes, Hinterlassenschaft der vorangegangenen Ära (§ 21.6), ähnelte einer Totenfeier
     des Subjekts bei gleichzeitiger Feier oder Verdammnis des großen Anonymus. – Wie fremd ist uns diese Deutung des sozialen
     Geschehens, die sich bis weit in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hinein behauptete, doch schon geworden! Selbst dort,
     wo Massenbewegungen seither Geschichte schrieben, wie in Mittelosteuropa 1989, wirkten sie wie Relikte eines längst vergangenen
     Zeitalters, die sich ein letztes Mal gegen ihr Verschwinden aufbäumten. Und obwohl wir gut beraten sind, Individualisierung
     nicht mit Einzigartigkeit zu verwechseln, zuzugestehen, daß der Konformismus mit dem Individualismus gleichen |314| Schritt hielt, so ist doch beides nicht dasselbe. Das von der Masse vereinnahmte Individuum WEISS, erlebt sich körperlich
     und ideell als Masseteilchen. Das von sozialem Konformismus erfüllte Individuum DÜNKT sich besonders, stilisiert sich noch
     in seinen stereotypen Lebensäußerungen als apartes Wesen; als von anderen stärker abgegrenztes fällt ihm das auch leichter.
     Ich mag mich, in der Masse, allein MIT allen fühlen, oder, auf mich zurückgeworfen, allein WIE alle. Ein isolierendes Gefühl,
     so wie so; es festzuhalten, auszuleben kostet im ersten Fall erkennbar größere Anstrengungen. Die Normierung der einzelnen,
     die sich gestern der Menge bediente, um ihre Zwecke zu erreichen, liiert sich heute vorzugsweise mit der vom Ganzen losgelösten
     Existenz, das heißt: mit einem Hirngespinst. »Sei so wie alle!« hieß es einmal, »Sei Du!« so heißt die allerneueste Diät für
     das exzentrische Subjekt.
    4. Andere Methoden der Normierung, andere Bilder und Metaphern des sozialen Raums. Platzmangel, Bewegungsnot, enorme Reibungswärme,
     Kollisionsgefahr – auf dem Punkt der höchsten Kraftentfaltung der Industriemoderne lud sich die Einbildungskraft mit solchen
     grellen Phantasien auf. Wir Heutigen konstruieren den sozialen Raum abstrakter, so wie der Physiker das Universum oder der
     Neurobiologe das menschliche Gehirn. In unserer Vorstellung ähnelt er nicht länger einer

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