Buerger, ohne Arbeit
Erholung zu verschaffen, müßten die Fundamente der Dienstleistungsökonomie
schon sehr belastbar sein. Sind sie es?
6. Überblickt man den Zeitraum vom Abflauen des Nachkriegsbooms, den frühen 1960er Jahren, bis zum Absprung in den Globalismus
in den frühen 1990er Jahren, ergibt sich für die fortgeschrittensten Ökonomien dieses Bild 367 : Der |317| prozentuale Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten an der gesamten Erwerbsbevölkerung sank von durchschnittlich
mehr als 20 Prozent im Jahr 1960 auf rund 5 Prozent im Jahr 1991, wobei der statistische Durchschnitt zunehmend Aussagekraft
im konkreten erwarb. Zersplitterten die Extreme ursprünglich den Mittelwert (USA: 8,5 Prozent, Japan 30,2 Prozent), so kreisten
sie später auf engerer Flugbahn um denselben (USA: 2,9 Prozent, Österreich 7,4 Prozent).
Die Entwicklung des industriellen Sektors verlief abgeschwächt und in sich uneinheitlicher. Band die industrielle Produktion
1960 noch durchschnittlich 35 Prozent der Gesamtbeschäftigten, waren es 1991 knapp 30 Prozent. Auch hier verringerte sich
die Streuung, eine mächtige Volkswirtschaft brach jedoch den allgemeinen Trend. In Japan, dem Werkmeister der mikroelektronischen
Revolution, erhöhte sich der relative Anteil der industriell Beschäftigten von 28,5 auf 34,4 Prozent.
Umgekehrt proportional, ansonsten gleichlaufend zur Agrarwirtschaft der Trend im Dienstleistungsgewerbe; Wachstum auf der
ganzen Linie und in jedem Land, von zunächst 43 Prozent im Mittel auf etwa 65 Prozent. Zwar hielt sich der Ausschlag der Extreme
auf hohem Niveau, gab es noch 1991 Staaten wie Österreich, in denen der tertiäre Sektor gerade einmal die Fünfzigprozenthürde
genommen hatte, dem durchgreifenden Bedeutungsgewinn der Dienstleistungswirtschaft tat das keinen Harm. Die postindustrielle
Gesellschaft hatte formell Gestalt gewonnen.
»Formell«, der Zusatz ist wichtig. Daß die Beschäftigten in wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaften heutzutage mehrheitlich
Dienstleistungsberufen nachgehen, duldet keinen Zweifel. Wahr ist aber auch, daß ein beträchtlicher Teil dieser Dienste PRODUKTIV
konsumiert wird; dem Herstellungssektor direkter oder vermittelter einverleibt, könnten die entsprechenden Professionen oftmals
ebensogut unter »erweiterter Produktion« firmieren. Die Berufsstatistik, weit |318| davon entfernt, ein getreues Abbild der realen Verhältnisse zu liefern, verschleiert in ungezählten Fällen die effektive Einbindung
von »Dienst« in »Arbeit« und leistet dadurch ungewollt der Verwechslung von Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft Vorschub.
Wenig wegweisend auch die Gleichsetzung von Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Viele Dienstleistungen zeichnen sich
gerade nicht durch wissensintensive, sondern durch simple Operationsprofile aus. 368 Würde der produzierenden Sphäre wieder zugerechnet, was sachlich zu ihr gehört, der ohnedies mähliche Fall der relativen
Beschäftigungsquote im Industriesektor käme womöglich zum Erliegen.
7. Zieht man das Bruttosozialprodukt als Vergleichsmaßstab heran, ergeben sich für den Herstellungssektor der Volkswirtschaften
noch weit günstigere Befunde. Im großen und ganzen behauptete er seinen Anteil am sachlichen Reichtum der Nationen, 369 und dies trotz rückläufiger Beschäftigungsraten. Dabei vertragen sich selbst Anteilsverluste eines beliebigen Bereichs an
der Gesamtbeschäftigung mit einem Zuwachs an Erwerbstätigen in derselben Sphäre, vorausgesetzt, die erwerbstätige Bevölkerung
wächst ebenfalls, und zwar noch schneller. Die Entwicklung des industriellen Sektors folgte in den zurückliegenden Jahrzehnten
exakt diesem Muster: relativer Rückgang bei absoluter Zunahme der Beschäftigung. Krise der Lohnarbeitsgesellschaft? – Die
entscheidende Frage lautet, ob die nominellen Beschäftigungsgewinne mit einem Anwachsen des Arbeitsvolumens im gleichen oder
geringeren Umfang einhergehen oder ob das Arbeitsvolumen trotz höherer Beschäftigungszahlen stagniert bzw. abnimmt. Die neu
hinzukommenden Erwerbspersonen könnten sich in ganze Stellen teilen, Teilzeitarbeit verrichten, diskontinuierlich oder saisonal
beschäftigt sein – mehr Arbeitskräfte, gleichbleibender oder sinkender Arbeitsumfang infolge höherer Produktivität. 370
Nehmen wir den deutschen Fall und setzen das volkswirtschaftliche Arbeitsvolumen des Jahres 1960 gleich 100 |319| Prozent, dann zieht das Jahr 1991,
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