Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
Vom Netzwerk:
Spiel drehte sich weder um den Reichtum einzelner Nationen noch um den
     der Menschheit und schon gar nicht um das Wohlergehen der Menschen an diesem oder jenen Ort. Gespielt wurde nunmehr um den
     maximal erreichbaren Grad an ENTKOPPLUNG von Kapitalbewegung und Raumbindung, und in diesem Spiel gewann der Schnellste, Flüchtigste,
     Aufbruchbereiteste. Navigation war alles. Man mußte jenen Knotenpunkt im Raum zuerst erreichen, der die Nettoerträge in die
     Höhe jagte und wiederum der Erste sein, der ging, wenn andere Koordinaten noch verlockender erschienen.
    2. »Wer bewohnt den transnationalen Raum?« fragt ein deutscher Soziologe und denkt an Wissens- und Kapitaleliten, Globetrotter,
     Migranten, an Wanderer aus Not. 378 Tatsächlich wohnen wir heute alle in diesem Raum, jene eingerechnet, die noch nie einen Flughafen oder Bahnhof |324| betreten haben. Erstmals in der Weltgeschichte leben sämtliche Erdbewohner in ein und demselben zeit-räumlichen Kontinuum,
     und zwar auch als Konkurrenten. Ein x-beliebiger Angestellter einer deutschen Firma konkurriert heute effektiv mit ungezählten
     anderen auf der Welt um seine Stelle. Weil er das weiß, willigt er bereitwillig in Kompromisse ein, die mehr und mehr brutalen
     Ultimaten gleichen. Gewerkschaftliche Forderungen, die normierte Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich herabzusetzen, wirken
     angesichts des einen globalen Arbeitsmarktes wie die verstaubte Inszenierung eines abgespielten Klassikers aus dem alten Europa.
     Längst stehen neue Stücke auf dem Spielplan: »Arbeite kürzere Zeit und verdiene entsprechend weniger!« oder, aufgrund seiner
     Obszönität besonders beliebt, »Arbeite länger, angestrengter und denke dabei nicht ans Geld!« Was der Produktivitätsfortschritt
     in Gang setzte, vollendet das jüngste Zeitdiktat: die Krise der Lohnarbeitsgesellschaft und der »guten« Arbeit.
    Grundsätzlich stehen zwei Methoden zur Verfügung, um den Umfang der Produktion auszuweiten. Die erste steigert die Leistungsfähigkeit
     des Personals auf INTENSIVE Weise, durch den Einsatz von Wissenschaft und Technik, wogegen die zweite, EXTENSIVE Expansionsmethode
     einen produktiven Apparat von gegebener Ausstattung und Beschäftigungsquote entweder aufstockt oder während längerer Zeit
     in Funktion hält. Bei gut gefüllten Absatzbüchern verbinden sich beide Methoden, gibt die höhere Produktivität den Anstoß
     zur Erweiterung des Maschinenparks, zu längeren Laufzeiten oder zu beidem. Unter den früheren Kräfteverhältnissen führte diese
     Konstellation zwingend zur Stabilisierung der Arbeitsverhältnisse oder, im Fall überdurchschnittlich belebter Konjunktur,
     zu Neueinstellungen. Mehrarbeit war teuer, und fiel sie regelmäßig an, erwies sich die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze
     als kostensparendes Verfahren. – Erhält der Unternehmer Mehrarbeit umsonst, welcher Teufel sollte ihn reiten, sich auf der
     Straße umzusehen? Sobald |325| sich das Kapital der extensiven Reproduktion mit derselben Ausschließlichkeit bemächtigt wie zuvor der intensiven, tritt die
     Vollbeschäftigung in ihr letztes Stadium, über dem in großen Lettern UMSONST geschrieben steht.
    3. Und um ein weiteres Wort über das »alte Europa« zu verlieren, über die schöne Jungfrau auf dem Stier – die duldet jetzt
     die Plusmacher unter sich, und wer weiß, wo die sie noch verhökern werden. Einstweilen gelang es den Eliten, Europa in ein
     Auktionshaus zu verwandeln, das seine kostbarsten Schätze mit einer Miene feilbietet, als wäre es verderbliche Ware. Wer noch
     reichlich davon hat, muß sich beeilen, sonst bleibt er darauf sitzen, und niemand nimmt bei so einem Logis. Die Vulgärökonomie,
     ins Feilschen vernarrt seit je, feuert den Ausverkauf an, wie eine Marketenderin: Irland 31 Prozent Beschäftigungsgewinn,
     die Niederlande 15, Finnland 13, Kanada 10 und 9 Prozent die USA, und das allein von 1995 bis 1999, das muß doch auch in Deutschland
     gehen! 379 Und wie? Nun, auf vertraute Weise: Zügiges
Benchmarking
(danke auch für diesen Wortimport 380 ) und dann hinweg mit den sozialen Regulativen, den zu hohen Löhnen, den Einkommens- und Unternehmenssteuern, möglichst auf
     ein noch tieferes Niveau! 381
Jede Arbeit ist besser als keine!
Arme Iren, bald werden wir euch einen Teil der Arbeitsplätze abjagen, die ihr so listig bei euch angesiedelt habt. Arme Deutsche,
     bald dürft ihr arbeiten wie die Iren, glücklich darüber, daß euch nicht das Schicksal der

Weitere Kostenlose Bücher