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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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»wahren« Reichtum der Nationen zum eigenen Vorteil umzudefinieren. Dessen Gütesiegel bestand hinfort nicht mehr in Arbeit
     und industrieller Produktion, |328| sondern in der Jungfräulichkeit des sich aus sich selbst zeugenden und exponentiell vermehrenden Geldes. Felder, die man nicht
     fruchtbringend zu bestellen verstand (die USA und Großbritannien belegten Mitte der 1980er Jahre hintere Plätze im Klub der
     produktivsten Industrienationen 383 ), lohnten die Mühe nun einfach nicht; »effektiver« Kapitalismus fand anderswo statt: auf den Börsen- und Finanzmärkten. Daß
     der Finanzdienstleistungssektor in den Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre doppelt so schnell wuchs
     wie die Industrieproduktion, der Handelsüberschuß bei technischen Produkten drastisch absank, bei Industrieerzeugnissen im
     ganzen defizitär ausfiel, 384 signalisierte keine bedrohliche Fehlentwicklung, sondern bewies, daß man auf dem richtigen Wege war.
    5. In Wahrheit befand man sich auf dem Weg zu einer konsumierenden Weltoberschicht, hinein in eine Rentiergesellschaft mit
     höchst fragwürdigen Aussichten, jenen ähnlich, die sich Spanien und Portugal nach der Verschleuderung ihrer Gold- und Silbervorräte
     eröffneten. Die Gefahr, sich mit der neuen Strategie zu isolieren, war um so greifbarer, als es noch immer mächtige Gegenspieler,
     Deutschland, Frankreich, Japan, gab, die sich nach wie vor der industriellen Produktion als Hauptquelle des sachlichen Reichtums
     verschrieben. 385 Sie aufs Glatteis des ABSTRAKTEN Kapitalismus zu ziehen, dazu zu verführen, flottierende Geldvermögen vorzugsweise in Aktien
     anstatt in industrielle Unternehmen umzuwandeln war der nächste Schachzug. Und obwohl er nicht gänzlich gelang, schlug er
     doch eine Bresche in die Abwehrformation der Konkurrenten. Vom Aufwärtstaumel der
New Economy
benebelt, von Renditen angelockt, die mit seriöser Produktion nicht zu erzielen waren, leiteten potentielle Anleger ihre Ersparnisse
     in die Kanäle des weltweit führenden Aktienmarktes, des
New York Stock Exchange.
Auf den eigenen Vorteil bedacht, erretteten sie die Vereinigten Staaten ein ums andere Mal vor dem offenen Ausbruch einer
     Finanzkrise. 386
    |329| Der spekulative Kapitalismus kreiert uniforme Maßstäbe für wirtschaftlichen Erfolg, für Wachstum und Produktivität, wobei
     er alles in derselben Einheit mißt, in Geld und Geldgewinn. Er blufft mit hohen Wachstumsraten und Produktivitätsgewinnen
     und verdeckt, daß die höchsten Gewinne in jenen Sektoren mit vergleichsweise geringer technisch-technologischer Ausstattung
     erwirtschaftet werden. Je unproduktiver eine Geldanlage an sich ist, desto produktiver erscheint sie dank manipulierter Erfolgskriterien.
     Gewinner in dem aufgeblasenen Wertschöpfungsszenario ist, wer am besten rät, nicht wer in langen Fristen plant und handelt.
     Die Spekulation gewinnt die Oberhand über die Unternehmungslust, und die Kapitalentwicklung wird zum Nebenprodukt der Tätigkeit
     des Spielsaals. 387
    Je regelmäßiger das Kapital in dieser Form verauslagt wird, desto hektischer, nervöser strebt es nach Profit, desto wilder
     blühen die anrüchigsten Formen der Wertschöpfung, Insidergeschäfte, Bilanzfälschung, Roßtäuscherei im großen Stil. 388 Sickert die spekulative Mentalität in die produktive Sphäre ein, und das ist seit längerem der Fall, verfällt diese in dieselbe
     Unart. An der Börse notiert zu sein verschafft dem Ruf eines Unternehmens heute vielfach mehr Respekt als eine auf die Zukunft
     ausgerichtete Geschäftspolitik. Großaktionäre regieren in das Management hinein und drängen es zu Entscheidungen (überstürzten
     Fusionen, Entlassungen), die perspektivisch verderblich, im nächsten Quartalsbericht hingegen positiv zu Buche schlagen.
    Der Haß, der dem Keynesianismus, vormals Inbegriff volkswirtschaftlicher Weisheit, heute entgegenschlägt, ist ein indirekter
     Gradmesser der blinden Wut, mit der die ökonomisch Mächtigen ihren Sachverstand und ihre Entscheidungsbefugnisse auf dem Altar
     hastig zusammengeklaubter Liquiditätsprämien geopfert haben. Was sie in Erregung versetzt, ist nicht Keynes’ Regulierungstheorie;
     es ist sein Bild des Unternehmers als eines der Gesellschaft verantwortlichen Funktionärs der Reichtumsproduktion |330| und eines Staates, der ihn geschickt an seine Pflicht erinnert. 389
    Mögen die flinken Unternehmer den sozial aktiven Staat auch noch sosehr verlachen; dank

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