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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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als auf
     die nächste Frage: Bewegen wir uns in die Richtung eines gesellschaftlichen Lebensprozesses, der vom Kapitalinteresse neuerlich
     überwältigt wird? Man muß sich |341| gegen die Realitäten schon ziemlich verhärten, um die zahlreichen Analogien übersehen zu können, die zwischen unserer historischen
     Konstellation und jener bestehen, die sich in der Frühzeit des industriellen Kapitalismus herausbildete: Führung des ökonomischen
     Sektors im Vergesellschaftungsprozeß bei zeitgleichem Zurückfallen politischer und rechtlicher Koordinationen; Politik der
     staatlichen Entstaatlichung; Entkollektivierung der Arbeitsverhältnisse; Erosion der bürgerlichen Form der Lohnarbeit; Abkopplung
     der Lohnentwicklung vom Produktivitätsfortschritt für die Mehrheit der Beschäftigten; erzwungene Gratisarbeit; neue Armut.
     Angesichts dieser Parallelen überrascht es kaum, daß die große Streitfrage aus der Epoche des klassischen Kapitalismus in
     die zeitgenössische Debatte zurückkehrte: Wie verwertet das Kapital sein Mehrprodukt, seinen Gewinn, wie findet das Produkt
     zum Konsumenten?
    § 43 Konsumtion als Bürgerpflicht
    1. Der neuzeitliche Kapitalismus hatte sich zum industriellen kaum gemausert, da bewies man seine Unmöglichkeit zu dauern.
     Er bannte das Leben der Arbeiterschaft in die Grenzen des physischen Minimums, bestritt der nichtarbeitenden Oberschicht ihren
     geachteten Platz in der Gesellschaft und zwang seinen eigenen Funktionären, den Unternehmern, strengste Askese auf. Gleichzeitig
     überrannte er alle geschichtlich eingezeichneten Markierungen der Reichtumsproduktion, machte er sich anheischig, die Welt-
     als Marktgesellschaft herzustellen. Auf die dringlichste Frage, von ihm selber aufgeworfen, verweigerte er indes die Antwort,
     ja, er schien sie nicht einmal zu kennen: Wer konnte, wer sollte den potentiell unermeßlichen Reichtum konsumieren? Und wenn
     er die Antwort schuldig blieb, was stand ihm anderes bevor als das Schicksal aller Möchtegerne; er würde sich, bald schon,
     an seiner Maßlosigkeit verschlucken. Wollte |342| er seiner unmittelbar bevorstehenden Nemesis entgehen, mußte er all jenen Stimmen Gehör schenken, die von der Unentbehrlichkeit
     unproduktiver Klassen zu berichten wußten. Mochten Luxus und Verschwendung in der neuen Zeit als Laster umgehen; sie schöpften
     den überschüssigen Reichtum ab, mehr noch, sie ließen ihn, seiner konsumtiven Bestimmung gewiß, erst richtig sprudeln. Wer
     sich, nur zum Vergnügen, ein Dutzend prächtiger Kutschen hielt, förderte den Wohlstand seiner Nation in gleicher, wenn nicht
     fruchtbringenderer Weise als jener, der schlichtes Leinen produzierte. Anders als der mechanische Webstuhl, der seine Operateure
     zu schlecht bezahlten Arbeitstieren degradierte, warf das gehobene Handwerk veritable Revenuen ab – für die geschickten Hände
     und besonders für den Unternehmer. Die gaben wieder anderen Arbeit, und so zeugte sich der Reichtum fort. Selbst das Verbrechen,
     die Domäne unproduktiver Armer, war nicht zu verachten. Es regte zum Bau von Gefängnissen an, beschäftigte Aufseher und zuvor
     noch Maurer, Zimmerleute, Architekten.
    Bernard Mandeville, gebürtiger Niederländer, Brite aus Passion, war nicht der erste, der die bürgerliche Klasse mit derlei
     Vorschlägen schockierte. 398 Da er das Metier brillant beherrschte, in dem er sich versuchte, die satirische Provokation, erinnern wir uns seiner nur
     genauer. Fortlaufende Beachtung erwarb er sich zudem durch sein Gesellschaftsbild. Was macht den Menschen zu einem geselligen
     Wesen, war seine Ausgangsfrage. Und die Antwort erteilten nicht Altruismus und Selbstgenügsamkeit, sondern Egoismus, Neid
     und Gier. Das klang übel, war dem Geist der Aufklärung aber keineswegs fremd. Kants »ungesellige Geselligkeit« resümierte
     dieselbe dialektische Grundstruktur der bürgerlichen Gesellschaft wie Smith’ »unsichtbare Hand« oder Marx’ Theorem vom tendenziellen
     Fall der Profitrate. 399
    2. Nicht alles ist stimmig bei Mandeville, manches undurchdacht, manches wieder sehr weitsichtig formuliert. Klug, vorausschauend
     war seine Kritik am bürgerlichen Sparzwang |343| (»Denn je mehr Geld von einigen aufgehäuft wird, um so spärlicher muß es unter den übrigen werden.« 400 ), und es war kein Zufall, daß einer der einflußreichsten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts, John Maynard Keynes, gerade
     daran anschloß. Weitblickend auch seine Vision des

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