Buerger, ohne Arbeit
weniger genau. Sofern es sich nicht um bekannte Menschen aus dem beruflichen Nahraum handelt, unterstellt
sie bis zum Beweis des Gegenteils, daß die Betreffenden ihrer verantwortungsvollen Funktion gewachsen sind, und gönnt ihnen
ihre Privilegien. – Andererseits legitimiert das philosophische Prinzip der Verantwortbarkeit Unterschiede, die mit den Forderungen
des gesellschaftlichen Zusammenlebens kollidieren: »Sozio-ökonomische Ungleichheiten sind gerechtfertigt, wenn sie allein
aus den selbst zu verantwortenden Entscheidungen der Individuen erwachsen. Dann darf keiner dem anderen die Früchte seiner
Entscheidungen nehmen, keiner hat die Pflicht, diese zu teilen, auch wenn das sozioökonomische Unterschiede zu reduzieren
helfen würde.« Gosepath: Gleiche Gerechtigkeit, S. 380. Für die soziale Kohäsionskraft, d.h. für die Gesellschaft als solche,
ist entscheidend, daß die Menschen sich in ihren Anschauungen und Absichten nahe bleiben, daß sie sich als ihresgleichen wahrnehmen
und behandeln. Dieses höchste aller sozialen Gebote kann unter Umständen zur Korrektur jener Verteilungen zwingen, die aus
der ungetrübten Entscheidungsfreiheit aller einzelnen hervorgehen.
338
Es ist bemerkenswert, daß philosophische Theorien der Gerechtigkeit nach unparteiischen Kriterien der Güterverteilung suchen,
die Unparteilichkeit selbst als empirischen Grund gerechtfertigter Ungleichheit dagegen kaum würdigen.
339
Michael Walzer: Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt a. M., New York 1992, S.
49.
340
Walzer ist konsequent genug, die Vergesellschaftung der Eigentümerfunktion als Ultima ratio ins Auge zu fassen: »Ist ein gewisser
Punkt in der Unternehmensentwicklung erreicht, muß der Betrieb der unternehmerischen Kontrolle entzogen und im Einklang mit
der herrschenden (demokratischen) Vorstellung davon, wie Macht zu verteilen sei, sozusagen politisch organisiert oder reorganisiert
werden.« Walzer: Sphären, S. 428f. »Sozusagen« – hier macht sich die innere Hemmung gegen die eigene verbale Kühnheit geltend.
Der Gedanke selbst hat berühmte Ahnen, Saint-Simon und seine Anhänger, hier eine Probe: »Es gilt, Verhältnisse zu schaffen,
in denen nicht mehr die Familie, sondern der Staat die angehäuften Reichtümer erbt, soweit sie das bilden, |413| was die Ökonomen den Produktionsfonds nennen. Durch ein Rangordnungssystem … überträgt die Gesellschaft das Eigentum, das
heißt die Arbeitsmittel, nicht vom Vater auf den Sohn, sondern vom Fähigen auf den Fähigen. Aus den Händen, die die Arbeitsmittel
am besten zu gebrauchen wußten, läßt sie sie unmittelbar in Hände übergehen, die sie fürderhin am besten zu gebrauchen wissen.«
Vgl. Die saint-simonistische Lehre. In: Höppner, Seidel-Höppner: Von Babeuf bis Blanqui, S. 159.
341
Siehe Jugend 2002. Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus. Hrsg. von Deutsche Shell, Frankfurt a. M.
2002, S. 55f. Daß für den »sozialen Index« (Unterschicht, Mittelschicht, Oberschicht) nur das väterliche Bildungszertifikat
(als das durchschnittlich höhere) herangezogen wird (S. 54), spricht an sich schon für die Virulenz des Problems sozialer
Vererbung.
342
Jugend 2002, S. 63–71.
343
Jugend 2002, S. 72.
344
Jugend 2002, S. 62ff. Siehe hierzu auch die Titelgeschichte des Spiegel, 21/2004: Schlaue Mädchen, dumme Jungen. Sieger und
Verlierer in der Schule. – Die höhere Bildungsbeflissenheit weiblicher Schulpflichtiger, ihr Drang, geistig weiterzukommen,
dabei auch weitere Wege in Kauf zu nehmen, bildet den hauptsächlichen Grund für die »Vermännlichung« Ostdeutschlands auf zugleich
bescheidenem intellektuellen Niveau.
345
Bourdieu u. a.: Das Elend der Welt, S. 529f.
346
Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz
und Wissenschaft. Frankfurt a. M. 2002.
347
Siehe zum Nivellierungstheorem frühzeitig Hans Freyer: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. Stuttgart 1955. Strenggenommen
handelt es sich bei diesem seinerzeit vielbeachteten Buch weniger um eine soziologische Analyse als vielmehr um ein mit erheblichem
kategorialen Aufwand komponiertes Klagelied. Wortreich beklagt, betränt wird das Verschwinden herausragender einzelner durch
die Einpassung, Einfunktionierung des modernen Individuums in die Systeme, Institutionen und Organisationen der
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