Buerger, ohne Arbeit
maschinellen
Großproduktion. Aus Meritokratie wird Mediokratie, bis in die Spitzen der Gesellschaft; historischer Exodus der Selbsthelfer,
der Tatmenschen; Triumph von Normierung und Vergleichmäßigung; Abtötung des Individualismus, sofern er |414| mehr ist als der auf allen lastende Zwang, das eigene Ich ohne ausreichendes Rüstzeug durch die soziale Welt zu navigieren.
Eine Zeit wie die unsere, die sich individualisierter dünkt als alle Zeiten vor ihr, verträgt ein wenig Abkühlung aus dem
Freyerschen Geist des Aristokratismus ganz gut: »Daß der ›Individualismus‹ zunimmt, … heißt nur, daß die Menschen stärker
auf sich selbst zurückgeworfen werden und daß sie in immer mehr Situationen einander nackt als Individuen entgegentreten,
nicht aber daß sie individueller, also voneinander verschiedener würden. Das Gegenteil ist der Fall. Überraschende, aus dem
Rahmen fallende Reaktionen, die geradewegs aus dem Mittelpunkt der Person kommen und in denen sich der Handelnde voll kundgibt,
wie er ist, werden seltener. Nicht nur die Kauze, die Sonderlinge, die originellen Narren, sondern auch die ›Individualitäten‹
im guten und im bösen Sinn, die Heiligen auf eigene Faust und die Monstra der Sünde werden rar, werden Randerscheinungen der
Gesellschaft; um so stärker schlagen sie freilich ein, wenn sie in der normalisierenden Welt mit Erfolg durchbrechen.« (S.
48f.) Im eigentlich soziologischen Sinn, d.h. in bezug auf die soziale Schichtung und deren Dynamik, konnte Mitte der 1950er
Jahre von nivellierter Gesellschaft so wenig die Rede sein wie heute. Davon abgesehen, wieder im Blick auf die Phänomene:
Wenn das Mittelmaß die Eliten erfaßt – worauf können sie ihren Anspruch auf die Monopolisierung gesellschaftlicher Chancen
dann überhaupt noch stützen?
348
Das ist die Liste, die John Rawls präsentiert. Vgl. Rawls: Politischer Liberalismus, S. 275.
349
Rawls: Politischer Liberalismus, S. 330.
350
Rawls: Politischer Liberalismus, S. 395.
351
Rawls: Politischer Liberalismus, S. 69f. Rawls wiederholt hier nur sein Grundprinzip aus der
Theory of Justice.
352
Rawls: Politischer Liberalismus, S. 377.
353
So sehen es auch die meisten Interpreten und Anhänger derselben, z. B. dieser: »Alternative Formen der Existenzsicherung sind
für die Zwischenzeiten erzwungenen oder selbstgewählten Wechsels des Arbeitsplatzes unverzichtbar, doch alle Reformprojekte,
die nur darauf setzen und die Erwerbsarbeit auf immer preisgeben, greifen zu kurz. Ein allgemeines Bürgergeld erfüllt die
Bedingungen von Gerechtigkeit als gleicher Würde nur dann, wenn es die unsicheren Übergänge in der prekären Arbeitswelt …
erleichtert und mit der Würde des einzelnen in Einklang hält, |415| kann aber keine prinzipielle Alternative sein.« Meyer: Die humane Revolution, S. 77
354
»Die Herausforderung besteht darin, die Wurzeln der sozialen Ungleichheit anzugreifen – und das erfordert vor allem eine auf
die am stärksten gefährdeten Haushalte ausgerichtete Strategie mit dem Ziel, den gleichen Erwerb an Humankapital zu ermöglichen.«
Gosta Esping-Andersen: Herkunft und Lebenschancen. Warum wir eine Politik gegen soziale Vererbung brauchen. In: Berliner Republik,
Heft 6 (2003), S. 46, Hervorhebung i. O. Siehe ausführlicher Gosta Esping-Andersen: Why We Needa New Welfare System. Oxford
2002.
355
Esping-Andersen: Herkunft und Lebenschancen, S. 53.
356
Die meisten theoretischen Entwürfe zur Chancengleichheit bleiben bei der Fairneß stehen, unschlüssig, ob soziale Gerechtigkeit
auch nur in dieser eingeschränkten Form realisierbar ist. »Ob faire Chancengleichheit … erreichbar ist, solange Familien die
Chance auf kompetitive Vor- und Nachteile durch Erziehung, Motivation und Verbindungen substantiell beeinflussen, ist zweifelhaft,
weil öffentliche Bildungseinrichtungen diese Unterschiede nie vollständig auszugleichen vermögen.« Der Diskurs bricht ab,
wo er einsetzen müßte. Siehe Gosepath: Gleiche Gerechtigkeit, S. 370.
357
Esping-Andersen: Herkunft und Lebenschancen, S. 53f.
358
Esping-Andersen: Herkunft und Lebenschancen, S. 53f.
359
Giddens: Die Frage der sozialen Ungleichheit, S. 52.
360
Bertolt Brecht: Schweyk im Zweiten Weltkrieg. In: Brecht: Stücke, Bd. 10. Berlin 1961, S. 122.
361
Michel Foucault: Les mots et les choses. Paris 1966; dt. Ausgabe: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften.
Frankfurt a. M.
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