Buerger, ohne Arbeit
schon modelliert, woran er sich abmühte, nichts widerständig Drittes, das ihm Aufgabe, Bestimmung werden
könnte. Sofern er überhaupt in den Stoffwechselprozeß samt seiner Marktrealisierung eingeschaltet ist, obliegen ihm dessen
Vorbereitung, Koordinierung, Bilanzierung, Werbung, Verkauf, lauter vermittelnde, sekundäre Beschäftigungen, etwas für schwächliche
Naturen, wie Platon fand. Da er die ernste, aufreibende Arbeit der anderen voraussetzt, kam er als Funktionär des gesellschaftlichen
Gesamtarbeiters erst in zweiter Hinsicht in Betracht. Doch nur dank seines Auftretens und seiner Ausbreitung verallgemeinerte
sich das Vertragsverhältnis der Lohnarbeit, bestimmte sich die Lohnarbeitsgesellschaft, um das Gehaltsstatut erweitert, zur
modernen Erwerbsarbeitsgesellschaft fort. 81 Ausweitung, Verallgemeinerung des Lohnarbeitsregimes auch in organisatorischer Hinsicht, im gemeinsamen Ablaufschema des
Erwerbs. Das klassische Büro ahmt bis ins Detail die Werkhalle nach – systematisch und extrem geteilte Funktionen hier wie
dort, nur daß die Arbeit im neuen Interieur von Schreibtisch zu Schreibtisch fortläuft, einem unsichtbaren Fließband folgend,
das Vorgang an Vorgang reiht. Das neue Büro folgt der Reorganisation |89| des Herstellungssektors nicht minder akkurat, kopiert deren Prinzipien – Transparenz der Vorgänge und Personen, Aufteilung
des Raums in Zonen selbstgestalteter und selbstverantworteter Arbeit – eines nach dem anderen. Die Produktion von Dienstleistungen
erfolgt, wie schon zuvor, gemäß der jeweils fortgeschrittensten Fabrikationsmethode. Im Unterschied zum herkömmlichen Angestellten
erschöpft sich der neue jedoch nicht in bloßer Nachahmung; Nachzügler im postfordistischen Universum, ist er zugleich sein
energischster Protagonist. Erst in ihm, in der Welt des heutigen Angestellten, gewinnt das revolutionierte Produktionsregime
seinen allen Beiwerks entkleideten reinen, idealen Ausdruck.
Die Modellfunktion des neuen Angestellten fließt direkt aus seinem vermeintlichen Makel, seiner reduzierten Materialität.
Vom Umgang mit Dingen und Stoffen weitgehend entlastet, kann er sich ganz dem Umgang mit anderen Menschen widmen, dem Geschäftsverkehr
mit Mitarbeitern, Kunden und Klienten. In seinem Verständnis ist Arbeit gleichbedeutend mit Kommunikation und in dem Maße
befriedigend, in dem sie diesem Ideal ohne Rücksichten auf tiefer reichende Bindungen und Verpflichtungen näherrückt. 82 Sein eigentümlicher Sozialcharakter – schwach entwickeltes Klassenbewußtsein, Hang zum Individualismus und zu Überlegenheitsgefühlen
nach »unten«, zur Arbeiterschaft hin – erleichtert es dem neuen Angestellten, seine Funktion als Auftrag zu verstehen, seine
Stelle als eigentliche soziale Geburtsurkunde. Beides zusammen, Auflösung der Arbeit in Kommunikation und Soziodizee der Stelle,
charakterisieren ihn als Idealfigur des flexiblen Kapitalismus; biegsam, elastisch, anpassungsfähig, sozial beugbar wie ein
Wort, das man flektieren kann.
2. Aber sollte sich nicht bereits der alte Angestellte bruchlos mit seiner Stelle identifizieren, mit seinem Unternehmen verschmelzen?
In der Tat erhob sich die Forderung schon in den 1920er Jahren, und damals klang sie wirklich neu. |90| Nur stand sie in krassem Gegensatz zur Durchschnittsexistenz des Angestellten. Der wurde soeben in seine Teile zerlegt, in
seine verwertbaren Funktionen und Operationen, und fühlte sich dementsprechend mehr verhöhnt als geschmeichelt. Erst für den
Angestellten unserer Zeit bedeutet Einheit von Arbeit und Leben eine pure Selbstverständlichkeit, in die er lustvoll eintaucht.
Von stofflichen Reibungsverlusten in hohem Grade frei, wird er sich selbst zum Objekt, zum Arbeitsgegenstand, arbeitet er
als Person an seiner »Persönlichkeit« als der hauptsächlichen Leistung, die er dem Unternehmen schuldet. Da die Persönlichkeit
ein begrenztes Einzugsgebiet nicht kennt, für alles offen ist, was sie formieren, bereichern könnte, ist auch das Leben nach
der Arbeit Leben für die Arbeit, Fortsetzung desselben mit freizeitlichen Mitteln. Soziale Beziehungen, Bildungserlebnisse,
Kulturkonsum gelten weniger als für sich selbst bedeutungsvoll und primär als Quellen erweiterter Kommunikationsfähigkeit
im Unternehmen. »Die außerbetriebliche Existenz ist der eigentliche Rohstoff der Arbeit des neuen Angestellten.« 83
In gewisser Weise ist die Freiheit jenseits der
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