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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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wieder zu, die aus Quellen unterhalb der Erwerbsschwelle sprudeln und nur
     auf ihre Einspeisung in die Erwerbsgesellschaft warten, könnte die Arbeit |95| umfassend humanisiert, der Gegenwartskapitalismus bis zur Unkenntlichkeit verändert werden; eine Vermutung, die genauere Prüfung
     verdient.
    7. Respekt, zuvor, dem Angestellten! Bedingungslos urban, sozial mit weniger Gepäck versehen als Arbeiter und Bürgerliche,
     individualistisch und zugleich ein Mensch der großen Masse, genußfreudig, sorglos-zerstreut, zerstreuungssüchtig, allzeit
     konsumbereit, ein Katholik der Arbeit, der sich selbst den Schweiß mißgönnt und für die Freizeit lebt, Teil einer aufstrebenden
     sozialen Formation, beseelt vom Traum ewiger Jugend, rückhalt- und rücksichtslos modern – so erscheint er schon in seiner
     klassischen Gestalt. Der neue Angestellte fügt diesem Katalog die Fähigkeit zur Versöhnung des Widersprechendsten hinzu. Er
     kombiniert Loyalität mit Abstandnahme, Treue mit Mißtrauen, totale Bindung an den Betrieb mit der jederzeitigen Bereitschaft
     zur Abstoßung, zum Neubeginn. Mit allen Sinnen tastet er seine Umgebung auf Anzeichen für kritische Prozesse ab, verfolgt
     er Aktienkurse, Geschäftsberichte, die einschlägige Presse, knüpft er insgeheim Beziehungen zu potentiellen neuen Arbeitgebern
     an. Nur nicht in der Routine versinken, nicht untergehen mit dem vielleicht schon leckgeschlagenen Schiff, nichts Dauerhaftes,
     kein falsches Sentiment. Ein wahres Genie der Simultaneität, erfaßt er Situationen, Gelegenheiten, Risiken im Nu, registriert
     er kleinste Stimmungs- und Positionswechsel, versetzt er sich in seine Vorgesetzten und Konkurrenten, zettelt im Geist Verschwörungen
     gegen sich an, studiert Texte und Gebärden für den Ernstfall ein. Im Verlauf von oftmals nur einer einzigen Generation ersetzte
     er das »dicke Fell« des herkömmlichen Angestellten durch eine dünne Membran, die noch die feinsten äußeren Turbulenzen ins
     Innere weiterleitet; wach, erregbar, empfindsam, zeigt er sich, wenn es sein muß, äußerst kalt.
    Über Ludwig XIV. hat man gesagt: Er war ein sehr mittelmäßiger Mensch und ein guter König. In seiner Erziehung vernachlässigt,
     intellektuell profillos, habe er sich höchstens |96| als Tänzer auf höfischen Festen über seine Umgebung erhoben. Was ihm an Glanz verleihenden Fähigkeiten abging, machte er im
     Übermaß durch solche Eigenschaften wett, die ein wenig schäbig wirken, ihn aber nichtsdestoweniger in den Stand setzten, zu
     tun, was von ihm verlangt war: die Monopolstellung des Monarchen gegen alle Anfeindungen zu verteidigen. Dazu bedurfte es
     der Vorsicht, des feinen Gespürs für geringfügige Machtverschiebungen bei Hofe und in der weiteren Gesellschaft, des Mißtrauens
     gegenüber jedermann, überraschender Gunsterweisungen und Zurücksetzungen sowie eines phänomenalen Gedächtnisses, das Geschehnisse
     aufbewahrte und im rechten Moment ausspielte, die längst dem allgemeinen Vergessen anheimgefallen waren. Und diese Gefühls-
     und Verhaltenseigenschaften hatte Ludwig in höchstem Maße kultiviert. – Der neue Angestellte in seinem Revier ist ein kleiner
     Ludwig.
    § 12 Arbeit, weiter gefaßt
    1. Bei Begriffen, begrifflichen Präzisierungen stecken die Schwierigkeiten immer im Detail, hier kann man gar nicht spitzfindig
     genug sein. Ein Exempel für viele: »Alle Bürgerinnen und Bürger sollen als gleiche und freie Personen ohne existentielle Ängste
     leben können.« Ja und Amen. »Erst der grundgesicherte soziale Boden macht es möglich, Arbeiten aller Art zu leisten: Tätigkeiten,
     die Menschen zu ihrer politischen und kulturellen Reproduktion brauchen.« 89 Schon beginnt die Konfusion. Das Wort »Tätigkeit« erläutert das Wort »Arbeit« nicht, ist keines seiner Synonyme. Im Katalog
     der Praxisformen bezeichnet es den Umgang des Menschen mit sich selbst, mit SEINEM Thema, seiner Aufgabe. Die soziale Dimension
     des tätigen Menschen tritt vermittelt, indirekt in Erscheinung. Themen, Aufgaben, persönliche Herausforderungen stellen sich
     nicht voraussetzungslos, sondern vor dem Hintergrund dessen, was bereits andere gedacht, erfunden, |97| entwickelt haben. Dagegen ist Arbeit ein unmittelbar sozialer Vorgang, der sich im aktuellen Miteinander verwirklicht. Die
     sachliche Minimalanforderung an »Arbeit«, wie sie sich bisher ergeben hat, ist Kommunikation, Dienstfertigkeit. Wie steht
     es dann aber mit der Kindererziehung, mit

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