Buerger, ohne Arbeit
Unterscheidung zwischen Befreiung in der Arbeit und
Befreiung von der Arbeit ist ein charakteristisches Exempel dieser Verfahrensweise. Um die Affinität jeder dieser beiden Strategien
zu einem ganz bestimmten Politikstil erfassen zu können, muß man sie zunächst voneinander sondern, für sich betrachten, auf
ihre letzten Konsequenzen hin befragen. Erst wenn das in möglichst reiner Form geschehen ist, kann man einen Schritt weiter
gehen und über eine Politik der Arbeit spekulieren, die die Lohnarbeit in die Zange nimmt, indem sie beide Strategien kombiniert.
Legt man die bisherige Analyse zugrunde, stehen die Chancen dafür gar nicht so schlecht. – Befreiung in der Arbeit, das ist,
politisch konkretisiert, der Kampf für eine Arbeitsorganisation und für Arbeitsbedingungen, die möglichst vielen Menschen
Handlungs- und Entscheidungsspielräume in ihrer Arbeit eröffnen, ist tagtäglicher Widerspruch und Widerstand gegen den vermeintlichen
Determinismus technisch-technologischer Abläufe. – Befreiung von der Arbeit, in der »konservativen« Variante (alle arbeiten,
aber nicht allzu lange), das impliziert politisch den Kampf für die Verkürzung der Arbeitszeit, Widerstand gegen die Umkehr
dieses Prozesses, gegen die grassierende Einverleibung menschlicher Zeitmaße in den Verwertungstakt. – Befreiung von der Arbeit,
als radikales Projekt konzipiert, das ist der Kampf für arbeitsfreie Existenz, für ein berechenbares, auskömmliches und in
diesem Sinne gutes Leben auch ohne oder mit wenig, nur episodisch ansetzender Arbeit.
Stürmische Erwartungen in den Erfolg dieser Umzingelungstaktik zu setzen wäre unangemessen. Die Kämpfe liegen nicht alle auf
derselben Ebene, divergieren in ihrer unmittelbaren |87| Stoßrichtung sogar, indem sie teils auf die Stärkung, teils auf die Schwächung des säkularisierten Arbeitsglaubens zielen.
Erfolg oder Mißerfolg des Unternehmens hängen in entscheidendem Maße davon ab, ob es gelingt, einen Konvergenzpunkt zu bestimmen,
der das Auseinanderdriften der verschiedenen Fronten verhindert.
5. Dafür empfiehlt sich einzig der Kampf um arbeitsfreie Subsistenz. Er allein sprengt den Rahmen des Gewohnten, offeriert
ein utopisches Versprechen und gewinnt dadurch etwas Mitreißendes, Bezwingendes. Den Arbeitslosen, von Arbeitslosigkeit Bedrohten
gibt er Antwort auf die quälendste aller Fragen: Wie kann ein Leben glücken, das sich nicht selbst am Leben hält?
Es glückt, wenn »Subsistenz« dem »Leben« fraglos innewohnt. Entspanntere Aussichten auch für die Privilegierten der Lohnarbeitsgesellschaft:
Wenn unterhalb der Erwerbsschwelle immer noch ein sozialer Boden existiert, auf dem sich erträglich leben läßt, reduziert
sich zugleich mit der Fallhöhe die Angst vor dem Absturz. Dadurch auf eine mittlere soziale Temperatur abgekühlt, könnten
sie sich bereit finden, einer Verkürzung des Arbeitsvolumens zuzustimmen, was wieder den Arbeitsreservisten zugute käme. Die
mit banaler Arbeit befaßten Menschen muß man für ein solches Zeitbündnis nicht umständlich gewinnen. Weniger vom selben wäre
für sie ein Mehr an Leben, und man täusche sich nicht über die Massenhaftigkeit dieses Bedürfnisses in der Gegenwart. Der
Postfordismus schuf in beträchtlichem Maßstab anspruchsvolle Arbeitsplätze entweder gänzlich neu oder dadurch, daß er simplen
Arbeiten wieder zu Inhalten verhalf. Im Gegenzug simplifizierte er nicht wenige, einst ehrwürdige Professionen, verwandelte
er »Herstellen« in »Arbeit« zurück oder ersetzte, wie im Fall des Bäckerhandwerks, kunstvolle Intuition durch die passive
Überwachung computergesteuerter Abläufe. Der Siegeszug des neuen Produktionsregimes war mit gekränktem Facharbeiterstolz gepflastert
und hinterließ vielfach |88| wenig mehr als eine sozial verödete Jobmentalität, auch das gehört ins Bild. 80 – Eine Figur fehlt noch in diesem Strategie- und Bündnisspiel, der jüngere Bruder des modernen Lohnarbeiters, der Angestellte.
Keine geringe Lücke, wenn man bedenkt, daß er die Welt des Postfordismus allein durch seine große Zahl beherrscht. Berücksichtigt
man darüber hinaus, daß sich das soziale Wesen unserer Zeit – Angestelltsein – in ihm manifestiert, erscheint sie nur desto
klaffender.
§ 11 Vom Angestelltsein
1. Auf den ersten Blick wirkt der Angestellte wie ein unvollkommener Arbeiter, wie dessen Torso. Kein Stoff, keine Materie,
naturgegeben oder
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