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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Arbeit immer eine illusionäre. Wie jeder Erwerbstätige, so reproduzierte auch
     der klassische Angestellte notwendigerweise sein Arbeitsvermögen, wenn er konsumierte, sich entspannte oder Vergnügung suchte.
     Nur reproduzierte er es subjektiv als Abstandnahme von der Arbeit, als Kompensation mangelnder Arbeitsfreude. Wenn er wanderte,
     feierte oder Sport trieb, dann tat er das für sich, nicht für die Firma. Er wußte, wann er sich gehört und wann dem Auftraggeber,
     oder glaubte es zu wissen. Der fortgeschrittene Angestellte tadelt solche Abgrenzungen als Ausdruck falschen Bewußtseins.
     Statt sich in eine illusionäre Freiheit jenseits des Berufs hineinzuträumen, träumt er gleichsam auf Geheiß, mit geöffneten
     Augen und stets auch für sein Unternehmen, das auf sein Unbewußtes nicht verzichten möchte. Erst für ihn wird Arbeit, wird
     die Stelle zum Inbegriff der Selbstverwirklichung, |91| zum Betätigungsfeld sämtlicher Sinne und Vermögen. Was im Berufsleben noch vor kurzem als entbehrlich, wenn nicht als anrüchig
     galt, Nonkonformismus, Intuition, künstlerische Auffassungsgabe, Tagträumereien, freie Kreativität, erhebt er in den Adelsstand
     moderner Schaffenstugenden. Mit dem neuen Angestellten gelangt die Befreiung in der Arbeit an ihr versprochenes Ziel, findet
     sie als »Liebe zur Arbeit« ihre höchste Erfüllung. Weniger Arbeit wäre weniger Leben, Teilen schmerzlicher Verzicht. Die kulturell
     ermüdet und politisch eingekreist geglaubte Erwerbsarbeit verjüngt sich, der Arbeitsglaube sammelt neue Kräfte. Der Kapitalismus,
     scheint es, bedient sich des neuen Angestellten, um seinen Kritikern die emanzipatorischen Ideale, die utopische Rhetorik
     zu entreißen, das Leitbild vom autonomen, befreiten Menschen. 84
    3. »Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (zuerst ganz naturwüchsig) sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die
     menschliche Produktivität nur in geringem Umfang und auf isolierten Punkten entwickelt. Persönliche Unabhängigkeit auf SACHLICHER
     Abhängigkeit gegründet ist die zweite große Form, worin sich erst ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels,
     der universalen Beziehungen, allseitiger Bedürfnisse, und universeller Vermögen bildet. Freie Individualität, gegründet auf
     die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität,
     als ihres gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe.« 85 Wo stehen wir?
    4. Der Kapitalismus kann die emanzipatorischen Ideale, die utopische Rhetorik nicht übernehmen, ohne sie sich gemäß zu machen,
     SEINER Vorstellung des Menschen einzuverleiben, der Logik von Effizienz und Nützlichkeit; um die »dritte Stufe« zu erklimmen,
     müßte er sich selbst untreu werden. Doch dazu zeigt er auch nach seiner jüngsten Metamorphose keine Neigung. Auf dieser Entwicklungsstufe
     angelangt, kombiniert er sachliche und persönliche |92| Abhängigkeit auf eine schwer zu durchdringende und noch schwerer voneinander zu scheidende Weise. Er hält formell am persönlich
     unabhängigen Individuum fest, höhlt diese Unabhängigkeit aber zugleich von innen aus, wobei er sich auf authentische Bedürfnisse
     der Arbeitenden stützt. Er kreiert Arbeit als Lebensstil, aber hinter diesem Wohlklang verbirgt sich eine harte Schule.
    Um vom System als seinesgleichen erkannt und auserkoren zu werden, muß das Individuum sich selbst VERKENNEN lernen. Der postfordistische
     Produktionsprozeß ist zuerst und zuletzt die Produktion dieser Verkennung, einer wahrhaft tragischen Verkennung, die alles,
     was Selbstzweck sein und werden könnte – Phantasie, Bildung, Kultur, interesseloses Wohlgefallen, Freude am Nächsten und am
     unverdienten Glück –, zum bloßen Themenvorrat degradiert, zur eisernen Reserve des nächstbesten Kundengesprächs. Das Individuum,
     das diese Arbeit an sich leistet, wird zum
Homo oeconomicus
nicht nur als Funktionär des Marktsystems, sondern auch in seinem Selbstbezug. »Ich« schrumpft zum Spiegelbild des »ICH«,
     zu seinem Echo, zur Ich = ICH–AG; Geburt des postfordistischen Subjekts als differenzloser Einheit von Subjekt und Objekt,
     als endlich fest-gestelltes Wesen. Man könnte auch sagen: »Das Leben wird wieder ein Ganzes, aber eben ein zur Gänze kapitalistisch
     integriertes.« 86
    5. Vollzieht sich dieser Produktionsprozeß tatsächlich ohne jedes Mißbehagen, heiter-selbstvergessen, schmerzfrei?

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