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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Scharmützel Anlaß zur
     Klage gegeben. Allzu draufgängerisch war er mit den Seinen ins Getümmel gezogen und hatte die Schlachtordnung gehörig durcheinander
     gewirbelt. Vor solchem Übermut wird er diesmal ausdrücklich gewarnt. Nur auf ein vorher vereinbartes Zeichen darf er seine
     Einheit in die Flanke des schwedischen Feindes führen. Doch hört er wieder nicht darauf, auch, weil er der Prinzessin Natalie,
     in die er sich verliebt hat, imponieren will. Er stürmt los, auf eigenes Geheiß, und entscheidet den glücklichen Ausgang.
     Der Kurfürst, zunächst für tot erachtet, kehrt als »Sieger« auf den Thron zurück und hält über den Heißsporn Strafgericht.
     Er diktiert ihm den Tod zu, läßt sich dann aber zu einem klügeren Verfahren überreden. Sofern der Prinz selbst sich von Schuld
     freizusprechen vermag, soll er frei sein; die neue Freiheit der Untertanen. Auf seine eigene moralische Urteilskraft, auf
     sein Gewissen als letzte Instanz seines Schicksals verwiesen, gesteht der edle Missetäter sein Versagen ein und mißt sich
     selbst die Todesstrafe zu. Innerlich geläutert, von |216| sich aus zur Räson gebracht, von ungestümen Affekten nunmehr frei, wird er vom Souverän begnadigt. Er hat verstanden, für
     jetzt und alle Zukunft; ein Lehrstück über Disziplin und Freiheit, über Unterordnung aus gereifter Einsicht. Doch damit begnügt
     sich das Drama nicht.
    Das letzte Wort in der Sache, nicht im Stück, gehört dem Obristen Kottwitz, einem altgedienten, erfahrenen Militär und väterlichen
     Freund des Prinzen. Der stellt sich nach schon aufgelöstem Grundkonflikt vor seinen Fürsten und hält ihm einen Vortrag über
     das für ein gedeihliches Staatswesen unverzichtbare Minimum an bürgerlichem Eigensinn, mit diesem Worten:
    Was kümmert dich, ich bitte dich, die Regel,
    Nach der der Feind sich schlägt: wenn er nur nieder
    Vor dir, mit allen seinen Fahnen, sinkt?
    Die Regel, die ihn schlägt, das ist die höchste!
    Willst du das Heer, das glühend an dir hängt,
    Zu einem Werkzeug machen, gleich dem Schwerte,
    Das tot in deinem goldnen Gürtel ruht?
    Der ärmste Geist, der in den Sternen fremd,
    Zuerst solch eine Lehre gab! Die schlechte,
    Kurzsicht’ge Staatskunst, die, um eines Falles,
    Da die Empfindung sich verderblich zeigt,
    Zehn andere vergißt, im Lauf der Dinge,
    Da die Empfindung einzig retten kann!
    …
    Gesetzt, um dieses unberufnen Sieges,
    Brächst du dem Prinzen jetzt den Stab; und ich,
    Ich träfe morgen, gleichfalls unberufen,
    Den Sieg wo irgend zwischen Wald und Felsen,
    Mit den Schwadronen, wie ein Schäfer, an:
    Bei Gott, ein Schelm müßt ich doch sein, wenn ich
    Des Prinzen Tat nicht munter wiederholte.
    Und sprächst du, das Gesetzbuch in der Hand:
    »Kottwitz, du hast den Kopf verwirkt!« so sagt ich:
    |217|
»Das wußt ich Herr; da nimm ihn hin, hier ist er:
    Als mich ein Eid an deine Krone band,
    Mit Haut und Haar, nahm ich den Kopf nicht aus,
    Und nichts dir gäb ich, was nicht dein gehörte!
220
    3. Statt blinden Gehorsams – Disziplin aus Freiheit, statt buchstabentreuer Exekution der Gesetze – Regierung der praktischen
     Urteilskraft: das sind die beiden Grundsätze, die das Drama als Quintessenz aus Handlung und Widerrede der Figuren festhält.
     Kleist schreibt der historischen Schlacht bei Fehrbellin die geistige Schlacht im eigenen Lager zu, im preußischen, zu seiner
     Zeit. Den steifen Konservatismus der Ordnungsfanatiker konfrontiert er mit einem weisen, romantisch »aufgelockerten« Konservatismus
     und trifft seine Wahl. Paragraphen, Verfügungen, Gesetze, die den sozialen Kontext ignorieren, der einzelmenschlichen Erfahrung
     spotten, verknöchern den Staat zu einem toten Mechanismus. An das Gewissen der Untertanen, ihr Pflichtgefühl, zu appellieren
     ist nicht genug; ihr freies Urteil ist vonnöten, und das braucht Auslauf in der Welt, Handeln auf je eigenes Risiko, Einstehen
     für die Konsequenzen, für die Fehlbarkeit des Tuns, auch das. Politische Autorität und persönliche Autorschaft bedingen einander.
     Nur autonome Individuen vertreten den Staat mit ihrer ganzen Person, auch, wo er nicht zugegen ist, keine Weisungen erläßt.
     Erst handelnd und entscheidend erfährt der einzelne den Staat als höhere Notwendigkeit, als Grenze seiner Freiheit, respektiert
     er Freiheit neben, außer, über sich. 221
    Was den deutschen Konservatismus des frühen neunzehnten Jahrhunderts charakterisiert, von anderen nationalen Spielarten

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