Buerger, ohne Arbeit
unterscheidet,
ist sein polemisches Verhältnis zu sich selbst, sind rivalisierende Strömungen, Kraft- und Kampflinien in seinem Inneren. 222 Mit Adam Müller tritt das konservativ-romantische Denken in erklärte Opposition zum Reformismus von oben, mit Kleist öffnet
es sich zudem liberalen Überzeugungen, mit denen es teilweise verschmilzt. 223 Es muß viel Zeit vergehen, bis der deutsche |218| Konservatismus dem Liberalismus erneut Avancen macht, noch mehr, bis dieser sie verdient. Sozial von innen, politisch von
oben frühzeitig eingeschüchtert, nach außen auf Machtvermehrung, nationale Größe bedacht, verabschiedet sich das liberale
Bürgertum vom universalistischen Projekt der »Kulturnation«, verschreibt es sich der »Nationalkultur«, der Überlegenheit des
deutschen Geistes, mit einem Eifer, der noch den stursten Konservativen beeindruckte. 224
4. Die konservativen Familienstreitigkeiten »der Preußen« waren keine Gedankenspiele; sie entsprangen und entsprachen der
Sonderlage dieses Staates. Nach der vernichtenden militärischen Niederlage gegen Frankreich stand die Herrschaft der Hohenzollern
kurz vor dem Bankrott. Der Entwicklungsrückstand zu den fortgeschrittensten Völkern dieser Zeit war auf allen Gebieten brutal
zutage getreten, ihn aufzuholen vermochte nur eine mutige Erneuerung von Staat und Gesellschaft. Reformen mußten zuwege bringen,
was in Frankreich die Revolution von 1789, in England der historische Kompromiß von 1688 bewerkstelligt hatten – den unumkehrbaren
Bruch mit der Vergangenheit, mit Ständestaat, Zunftverfassung, geistiger Enge und innerer Zersplitterung.
Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts verband sich diese Aufgabe mit einer zweiten: dem möglichst schnellen Einstieg in die
industrielle Revolution. Französische Konservative mochten sich noch in Bonapartes Kaiserreich an der Aufgabe berauschen,
die Regierung in die Hände der »rechtmäßigen« Eigentümer zurückzulegen, wie Burke gefordert hatte; 225 in England war sie ihnen nie entglitten und daher auch kein Thema für erregte Diskussionen. Dagegen fiel dem deutschen Konservatismus
die ebenso ungewöhnliche wie undankbare Aufgabe zu, die Klasse der modernen Eigentümer, die sich dereinst der Regierung bemächtigen
konnte, überhaupt erst zu formieren. DAS trieb ihn in die Arme des sozialen Reformismus, der »guten Revolution«, entfremdete
ihn dem bewahrenden Selbstverständnis seiner |219| westlichen Verwandten, seiner eigenen Herkunft, begründete den Bruderzwist des europäischen und speziell des preußischen Konservatismus.
§ 27 »Skepsis und Zuversicht«
1. Verglichen mit seinen kontinentaleuropäischen Verbündeten wirkt der angelsächsische Konservatismus von vornherein einheitlicher,
in sich stimmiger, seinem Ursprung treuer; sichtlich entspannt und gelassen, gibt er sich nach außen liberal. Der Bruch mit
der alten Ordnung war dort seit längerem vollzogen, Teil der Vorgeschichte, der »glorious revolution«, wie in England, oder
revolutionär bekräftigte Voraussetzung des gesellschaftlichen Neuanfangs, wie in den Vereinigten Staaten. Von der Französischen
Revolution zu prinzipiellen Erwägungen veranlaßt, kann sich dieser Konservatismus darauf beschränken, das einzig »vernünftige«
Fazit der ganzen Revolutionsepoche, die kapitalistische Eigentümergesellschaft, als nunmehr unumstößliche Ordnung auszugeben
und gegen jeden Versuch zu verteidigen, sie erneut von unten in Frage zu stellen oder durch übertriebene Zugeständnisse von
oben aufzuweichen. Ob aktuell an der Regierung oder in der Opposition – die Haltung bleibt dieselbe: vornehmreserviert, abwartend,
skeptisch gegenüber dem Staat, auch dem »eigenen«, sofern dieser allzuforsch in das gesellschaftliche Getriebe eingreift,
Wohltaten verteilt oder existentielle Garantien an jene Stelle setzt, die dem gesunden Risiko gehört. Er bewahrt sein gutes
Gewissen, sein »natürliches« Gepräge, bleibt mit sich im reinen.
2. Wie ungebrochen dieses angelsächsische Selbstverständnis sich seit nunmehr zwei Jahrhunderten behauptet, bezeugt ein später
Erbe Edmund Burkes, der 1990 verstorbene Michael Oakeshott. In seiner letzten großen Arbeit analysierte der renommierte politische
Philosoph zwei Grundmuster neuzeitlicher Politik, die »Politik der Zuversicht« |220| und die »Politik der Skepsis«. »Zuversichtliche« Politik steht für den gebürtigen Engländer im Dienst der
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