Bufo & Spallanzani
sie aufgrund einer Art bürgerlichen Anstands in Verbindung mit dem Festhalten an verlogenen Konventionen die Liebe der Etikette unterordnen. Ich stellte für Delfina ein Traumbild dar oder hatte es für sie dargestellt, das aus dem Überdruß an ihren sechs Jahren Ehe entstanden war. Jetzt wollte sie mich real werden lassen, einen Ehemann aus mir machen. Laß uns beide eine weite Reise machen, wohin du willst, sagte sie. Ich antwortete, ich wolle nicht aus Brasilien weg, ich müsse Bufo & Spallanzani schreiben, es gebe für ein Buch nichts Schlimmeres als eine Reise. Sie sagte, ich hätte das Buch noch gar nicht angefangen, ich könnte unterwegs schreiben, wir würden per Schiff reisen, sie würde mir die Bleistifte anspitzen. Hast du jemals auch nur einen einzigen Bleistift in meiner Wohnung gesehen, weißt du nicht, daß ich auf einem Computer schreibe? fragte ich. In Wirklichkeit konnte sie das gar nicht wissen, denn seit ich sie kannte, hatte ich keine einzige Zeile mehr geschrieben. An diesem Tag wurde mir, während wir uns unterhielten, bewußt, daß ich zum ersten Mal in meinem Leben seit geraumer Zeit nichts mehr geschrieben hatte, und das alles wegen einer Frau. Ich hörte mir an, was sie für uns beide plante. Delfina wollte Eugênio sofort verlassen, bevor sie, wie alle zwei Jahre, nach Paris fuhren, um dort sechs Monate zu verbringen.
Sie sagte, sie könne es nicht ertragen, noch weitere sechs Monate mit ihrem Mann zusammenzuleben, auch nicht in Paris, vor allem nicht in Paris, sie könne es nicht ertragen, so lange weit weg von mir zu sein, sie wolle sich nicht mehr verstecken, und so weiter. Wir sollten noch ein bißchen darüber nachdenken, sagte ich. Denken, denken, du machst doch nichts anderes als das, sagte sie, was strenggenommen nicht stimmte. Was ein Schriftsteller am wenigsten tut, ist denken, sagte ich scherzhaft. Sie sagte, ich mache sie nervös, sie könne nachts nicht schlafen, sie habe keinen Appetit mehr, und schuld daran sei ihr Doppelleben, die Lügerei, daß sie mit ihrem Mann, den sie nicht liebe, ins Bett gehen müsse, was zwar vielleicht nichts Außergewöhnliches sei, aber deswegen nicht weniger furchtbar. Irgendwann bringt mich das noch um, sagte sie. Ich gebe zweierlei zu. Erstens wollte ich Delfina nicht heiraten, obwohl ich sie sehr liebte. Zweitens wollte ich eigentlich gar nicht, daß sie ihren Mann verließ. Delfina hatte sich daran gewöhnt, reich zu sein, und wenn sie sich in einer zweifellos romantischen Kurzschlußhandlung von Eugênio trennte, würde sie anschließend ohne einen Pfennig dastehen. Wir sollten noch ein bißchen darüber nachdenken, sagte ich zum zweiten- oder drittenmal. Sie stand auf, setzte sich nackt vor den Spiegel und schminkte sich so sorgfältig, so pedantisch wie eine Schauspielerin, die sich für ihren Auftritt auf der Bühne vorbereitet. Da, als sie schwieg, wollte ich, von der Schönheit ihres Körpers erneut erregt, noch einmal mit ihr ins Bett gehen, aber Delfina wehrte mich ab. Ich erzähle es Eugênio, sagte sie. Ich erwiderte, das sei der helle Wahnsinn, unvernünftig und brutal, denn damit würde sie ihren Mann nur unnötig verletzen. Wenn ich ihn betrüge, verletze ich ihn noch mehr, antwortete sie. Es gibt nichts, was einen so zur Verzweiflung bringen kann und was so blöd ist wie eine romantische Frau, oder? Laß uns noch ein bißchen darüber nachdenken, wiederholte ich. Sie sagte, ich sei wie ein Papagei, und mit einem seltsamen Gesichtsausdruck ging sie. So unvorsichtig wird sie ja wohl nicht sein, dachte ich. Tatsächlich kam Delfina am nächsten Tag zur gewohnten Zeit wieder zu mir. Sie war sehr blaß und schien, obwohl das eigentlich nicht möglich ist, über Nacht abgenommen zu haben – und zwar gewaltig, will ich damit sagen. Wir gingen ins Bett, und beim Orgasmus liefen ihr Tränen über das Gesicht. ›Ich habe mit Eugênio gesprochen. Ich habe ihm geschworen, daß ich mich nie wieder mit dir treffe. Eugênio hat mir vergebens sagte sie. ›Er hat mich gebeten, mit ihm zu fahren. Adieu‹.
Anschließend verreiste sie mit ihrem Mann. Sie wußte nicht, daß sie eine unheilbare Krankheit hatte, keiner von uns wußte das, weder sie, noch ich, noch ihr Mann. Nachdem sie gegangen war, setzte ich mich zum Schreiben an den Computer, gab es aber bald wieder auf. Ich bin keiner, aus dem es nur so herausfließt. Ich weiß, daß es keine Inspiration gibt; jeder alte Bock, der wie ich in weniger als zehn Jahren über zwanzig Bücher
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