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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rubem Fonseca
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lassen, wie sie der Anwalt des Versicherten haben möchte«, sagte ein junger Jurist.
    Ribeiroles starrte ihn an, als hätte er etwas Ketzerisches gesagt. Er ergriff eine vor ihm liegende Akte und las vor: »Maurício Estrucho, Unternehmer, Großgrundbesitzer, vierunddreißig Jahre, Sohn des Curzio Estrucho und der Camila Estrucho, verheiratet mit Clara Estrucho, geborene Espinhal. Die Familien Estrucho und Espinhal besitzen große Fazendas in den Bundesstaaten São Paulo, Mato Grosso und Goiás, wo sie Kaffee, Soja, Mais und Zuckerrohr anbauen, außerdem Alkoholfabriken sowie andere Produktionsbetriebe und geschäftliche Beteiligungen in Brasilien und im Ausland, die von der Holding Estrucho & Espinhal kontrolliert werden. Diese Informationen stammen von unserer Abteilung Geheime Überprüfungen. Meinen Sie, Herr Doktor« (Anwälte werden, genau wie Ärzte, sehr förmlich, wenn sie einander anfeinden), »daß wir Grund haben, in diesem Fall einen Betrug oder ein noch schlimmeres Verbrechen zu vermuten?«
    »Hier in Rio weiß doch jeder, daß Senhor Maurício Estrucho ein Bruder Leichtfuß war«, sagte der junge Anwalt.
    »Bruder Leichtfuß? Das ist kein juristischer Terminus«, spottete Ribeiroles.
    »Ein Verschwender, bekannt dafür, wie leichtsinnig er mit Geld umging«, sagte der Jüngere unbeirrt.
    »Und Sie meinen, das rechtfertige nicht nur einen Verdacht unsererseits, sondern auch noch, daß ein fahrlässiges Urteil darüber gefällt wird? Eine Autopsie darf nur bei Unfällen oder gewaltsamem Tod oder Verdacht darauf vorgenommen werden. Es liegt eine Sterbeurkunde vor, ausgestellt von Dr. Albuquerque Gomes, einem höchst prominenten und angesehenen Arzt, die bestätigt, daß Senhor Maurício Estrucho eines natürlichen Todes gestorben ist, an einem Herzinfarkt. Das kann man nicht leichtfertig außer acht lassen.«
    Die beiden Anwälte diskutierten eine ganze Weile. Im Antrag von Dona Clara Estruchos Anwalt hieß es, die Untersuchung möge in Anbetracht der Gläubigkeit des Ehepaares mit gebührendem Respekt gegenüber dem Leichnam vorgenommen werden, was den Chefjuristen in seiner Ansicht bestärkte. »Eine Million Dollar sind nicht das Risiko wert, die Panamericana der Lächerlichkeit und Schande preiszugeben«, sagte er. Die anderen Anwälte, die an der Besprechung teilnahmen, ergriffen für ihren Chef Partei und rechtfertigten ihren Standpunkt mit mehrdeutigen Phrasen, wie die Juristen sie üblicherweise verwenden.
    Zu guter Letzt wurde beschlossen, daß die Panamericana die Untersuchung vornehmen lassen sollte. Ribeiroles war hinsichtlich dieser Entscheidung beruhigt, nachdem er mit Dr. Gervásio Pums gesprochen hatte, dem Leiter des Ärztlichen Dienstes der Panamericana und Erfinder einer als OMSBS, Organische Messung Semiotisch-Biologischer Systeme, bekannten Technik zur Messung des physischen und geistigen Gesundheitszustandes des Menschen. Die OMSBS analysierte die Alpha- und Betarhythmen der Gehirnströme, die nicht dem Willen unterliegenden Funktionen des Körpers (wie Herzschlag, Blutdruck, Kontraktionen des Verdauungsapparates) und schließlich die Festigkeit und Konsistenz von Muskelfasern, Haut und Knochen. Die OMSBS beruhte auf dem Einsatz von fünf Apparaten, die Dr. Pums zur Durchführung dieser Messungen erfunden hatte: des ETG, des Elektrotranscardiographen, der die Herzschläge und die Geschwindigkeit, mit der das Blut durch den Körper strömt, maß, des EMDF, Elektromyographen mit doppelter Funktion, der die Aktionsströme und Spannung der Muskeln feststellte, des DG, Dermogalvanometers, zur Berechnung der Hautfestigkeit, des EOG, Elektrosteographen, zur Beurteilung der Festigkeit und Härte der Knochen, und schließlich des EPROG, Elektroprosenzephalographen, der die elektrischen Ströme des R-(Reptilien)-Komplexes, des limbischen Systems und des Neucortex messen konnte. So wie die OMSBS in der Lage war, besser als jede andere Untersuchungstechnik die Lebenssignale des Organismus zu registrieren und zu analysieren, konnte sie auch die Todessignale feststellen. { * }
    Während die Panamericana ihre Vorbereitungen traf, saß Clara Estrucho, eine große, schlanke Frau von dreißig Jahren, auf einem Stuhl der Kapelle Nr. 5 des Friedhofes São João Batista und hielt ohne jede Regung auf ihrem schönen Gesicht am Leichnam ihres Mannes Totenwache. Außer ihr befand sich niemand in der Kapelle. Sowohl Clara als auch Maurício waren mit ihren jeweiligen Familien verkracht, und Clara hatte der

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