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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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aufzuwecken.
    Jordi sah auf, er sah in Miguels rundes, freundliches Gesicht und begann zu weinen.
    Angel Falls, dachte er, das war lächerlich. Er sagte es Miguel, er sagte, »wir fahren nicht weiter nach Norden«. Was wollte er dort. Er konnte sich nicht erinnern.

2
    Am nächsten Tag machte Jordi sich auf den Weg nach Caracas und flog von dort nach Hause. Nach Hause. Seit langem dachte er an Ascona, den Ort, in dem er aufgewachsen war und seine Familie lebte, mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Abscheu. Abscheu wegen der Enge und der Langsamkeit des Ortes, wegen der Sommer um Sommer einfallenden Touristenbusse voller Greise, die so bezähmt und verkümmert waren, dass selbst ihre Mimik erstarrt schien; im Grunde war es, als lägen sie schon auf dem Totenbett. Abscheu empfand er wegen der Art, wie die Leute hier dachten, langsam, aber dem Alten und Hergebrachten verpflichtet. Mit einer Methodik, von der sie glaubten, sie sei gründlich und ehrenhaft. In Wirklichkeit war sie beinern und voller Angst. Dankbar war er, weil die Gegend schön war, klar war sie schön, verdammt schön sogar, sonst hätten all die Fremden keinen Grund, da zu sein, sich Ferienwohnungen und Häuser zu kaufen und die Preise für die Einheimischen in die Höhe zu treiben. Dankbar war er, weil sein Großvater und sein Vater ihm gezeigt hatten, wie man den See liest, wie man den Himmel, die Wolken und den Wind liest, um hier zwischen den Bergen arbeiten zu können. Jordi besaß ein Unternehmen, das auf Unterwasserarbeiten spezialisiert war, sein Großvater Max hatte es gegründet. Er war ein Pionier gewesen, er hatte viele seiner Werkzeuge selbst entwickelt.
    Jedes Jahr Anfang November schloss Jordi den Betrieb und schickte seine Mitarbeiter in die Winterpause. Das machten viele Firmen im Tessin, deren Aufträge von der Jahreszeit abhängig waren, vor allem die Hotels und Pensionen, aber auch manche Handwerker. Er selbst reiste dann zwei, manchmal drei Monate durch die Welt, am liebsten in die Anden oder die Gebirge Asiens. Er suchte die Weite und wenige Menschen. Manchmal mietete er sich zwischendurch für zehn Tage in einem Touristenhotel an der Küste ein, nur um zu trinken und zu surfen, und dann bezahlte er zwei oder drei Frauen, ihm Gesellschaft zu leisten.
    Die übrige Zeit im Sommer arbeitete er wie ein Hund. Erst in der Dunkelheit nach der Arbeit fuhr er in seine Wohnung, zog die Vorhänge zu und ging nicht mehr nach draußen.
    Jetzt hatte Jordi offiziell noch fast einen Monat Auszeit. Erst Anfang März würde er sein Geschäft wieder aufnehmen.
    Als er in Mailand ankam und am Flughafen in sein Auto steigen wollte, war es der Zorn, den er stärker als alles andere spürte. Ein Zorn, der sich wie eine geladene Waffe gegen die drei jungen Männer richtete, die verhaftet waren und in Locarno im Gefängnis saßen. Wenn er irgendein Werkzeug gehabt hätte, hätte er es genommen und auf den Wagen eingeschlagen; er war froh, dass er den Zorn in sich einschließen musste, dass er nur sich selbst schaden konnte und niemand sonst in Gefahr bringen würde. Er stützte die Hände haltsuchend auf die Kühlerhaube. Der Schwindel dauerte nur ein paar Sekunden, aber er verharrte vornübergebeugt, leicht benommen. Auf der anderen Seite des Parkdecks stand eine Frau im roten Kostüm. Jordi sah die Frau an, wahrscheinlich sah er sie flehend an, als könnte die unvorhergesehene Bekanntschaft mit ihr seinem Leben eine Wendung geben und er bräuchte sich nicht den Dingen zu stellen, die zu Hause auf ihn warteten. Sie stand vor dem Eingang zum Treppenhaus und sah abwechselnd zur Tür, dann wieder zu Jordi. Sie kam nicht näher, sie behielt ihn nur im Blick. Sie schien auf jemanden zu warten oder sie hoffte, dass jemand käme, irgendjemand, auch gerne ein Fremder, damit sie nicht mehr alleine wäre mit diesem Fremden da, der sich vielleicht gleich übergab oder nur so tat, als müsste er sich gleich übergeben, und sich stattdessen im nächsten Moment auf sie stürzen würde. Sie wartete und schaute, und Jordi drehte sich um und kehrte ihr den Rücken zu, immer noch an die Kühlerhaube gelehnt. Er versuchte, ruhig zu atmen. Es war nicht der Zorn, der ihn vor allem beherrschte. Er schämte sich. Er schämte sich ungeheuerlich, ohne zu wissen, wofür. Einfach für das, was passiert war, als wäre er selbst in irgendeiner Weise dafür verantwortlich.

3
    Zu Hause wusste er nicht, was er als Nächstes tun sollte. Sein Rucksack stand im Flur, er hatte ein Glas

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