Bugatti taucht auf
Leitungswasser getrunken und saß seither reglos in der Küche.
Im Flugzeug und auf dem Weg hierher war klar gewesen, dass er als Erste seine Freundin Patrizia anrufen würde, dann Lucas Eltern, Monica und Umberto Mezzanotte. Aber jetzt erschien ihm der Gedanke abwegig, und je länger er darüber nachdachte, desto zweifelhafter kam ihm sein Verhalten vor, wie überhaupt sein ganzes Vorhaben. Wie er Monica und Umberto sein Beileid aussprechen würde, wie er ihnen sagen würde, dass er seine Reise abgebrochen hatte, dass er ihnen Hilfe anbieten wolle. Das hatte Jordi sich die ganze Zeit ausgemalt, als sei es das Selbstverständlichste, das einzig Folgerichtige, als wäre Umberto sein Bruder oder sein bester Freund oder so etwas. Aber schließlich, woher nahm er das Recht dazu? Wie kam er überhaupt auf die Idee, Umberto würde sich freuen, wenn Jordi sich meldete? Was konnten den Mezzanottes ausgerechnet seine Worte bedeuten? Wären sie nicht froh, Ruhe zu haben und mit niemandem sprechen zu müssen? Genau genommen war Umberto ein Bekannter, mit dem Jordi drei, vier Mal im Jahr segeln ging, wenn es sich ergab, und Monica kannte er praktisch nur von diesen Ausflügen. Wann hatten sie sich das letzte Mal gesehen und über Privates geredet? Je mehr er überlegte, desto übertriebener und überflüssiger kam ihm seine abrupte Rückkehr vor. Er war derjenige, der alleine in einer stillen Wohnung saß, die auf eine lange Abwesenheit vorbereitet war. Er musste aufpassen. Irgendetwas an der Sache ließ ihn aufdringlich und hysterisch werden.
Patrizia war erstaunt, ihn am nächsten Tag zu hören.
»Was, du bist schon zurück?«, sagte sie.
Er fragte sie, wann die Beerdigung sei. Sie sagte, sie wisse es nicht, der Junge sei anscheinend noch in der Autopsie. Es klang tröstlich; es klang, als würde er untersucht und operiert und könnte dann geheilt entlassen werden. Jordi gab diesem Gedanken nach. Er rief Umberto auch an diesem Tag nicht an. Stattdessen fuhr er in die Werkstatt, um nach dem Rechten zu sehen; allerdings hatte er das Lager vor seiner Abreise ohnehin aufgeräumt. Er hatte es geordnet hinterlassen, dachte er. Das Wort »hinterlassen« schien ihm seltsam in diesem Zusammenhang. Es war eisig kalt, aber er konnte sich nicht aufraffen, die Heizung einzuschalten. Er überprüfte, ob alles an seinem Platz war, nahm die Post aus dem Briefkasten und schob Giuseppe, dem benachbarten Schreiner, eine Nachricht unter der Tür durch, dass er wieder da sei.
Am Abend besuchte er seine Eltern. Sie freuten sich, ihn zu sehen, waren aber nicht gesprächig. Keiner von beiden sagte, dass es unnötig gewesen sei, dass er früher als geplant zurückgekehrt war. Emile wirkte müde und unkonzentriert. Er wollte nur Kartoffeln und Sauermilch essen. Barbara war in sich gekehrt. Sie schienen Jordi bedrückt, und nach dem Essen fragte er sie, ob die Krankheit des Vaters sich verschlimmert habe. Barbara sah Jordi an, als wolle sie ihn zurechtweisen, dann zuckte sie die Schultern. Emile sagte etwas von Metastasen im Bauchraum, dann begann er heftig zu husten und verließ für eine Weile das Zimmer. Sie hörten ihn nebenan im Bad. Das Wasser lief, dann gab es ein Geräusch, als würde jemand ein nasses Handtuch gegen Fliesen klatschen. Das Geräusch kam mehrmals hintereinander. Dann war Stille. Dann wieder das Klatschen.
»Was ist das? Was macht er?«
Die Mutter tat abgelenkt. Sie sagte: »Er will es nicht wahrhaben.« Und, nach einer Pause: »Ich auch nicht.« Und, wieder nach einer Pause: »Aber es ist da, jeden Tag. Wir versuchen zu leben, wie wir immer gelebt haben. Und es ist jeden Tag da.«
Beide schwiegen.
»Quälen müssen soll sich dein Vater nicht. Das habe ich ihm versprochen.«
Jordi wusste nicht, was er auf diese Mitteilung sagen sollte.
»Wird er denn noch behandelt?«, fragte er schließlich.
Sie nickte. »Er bekommt Schmerzmittel. Aber bestrahlt wird nicht mehr, und auch keine Chemo.«
Er bewunderte ihren Entschluss, hatte aber nicht den Mut, es ihnen zu sagen.
Seine Mutter sah ihn prüfend an, nickte resolut, um das eben von ihr Mitgeteilte zu bestätigen, und verfiel in ein abwesendes Schweigen. Dann, plötzlich, wandte sie sich ihm nahe zu und sagte mit eindringlicher Stimme: »Schrecklich ist das, was mit Luca passiert ist. Was mit uns geschieht, ist organisch, Staub zu Staub. Aber dieser Junge –.« Sie hielt einen kurzen Moment die Luft an und atmete dann entrüstet aus.
»Was du dabei machen kannst, sehe
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