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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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aufzubrechen nach Angel Falls, zum Auyantepui, in das Gebiet, das kaum jemand betreten hatte. Er hatte Miguel einfach verlassen, im Stich gelassen nach wochenlangen gemeinsamen Vorbereitungen. Ihm wurde schwindlig. Und er stand hier am Ufer des Lago Maggiore, es war Winter, und sein Boot war verschwunden.

32
    Jordi musste nur ein Mal tauchen. Der hohe Wellengang hatte das Arbeitsboot aufgestellt, überspült, unter Wasser gedrückt und es war abgesoffen wie eine Tonne Zement. Die Aufbauten befanden sich erstaunlicherweise noch an ihrem Platz, aber die Geräte im Inneren der Kabine – sein Computer, der Monitor, die Steuerungen – musste es quer durch den Raum und gegen die Wände geschleudert haben, sie waren alle unbrauchbar. Der Kranausleger war verbogen, ebenso die meisten Bügel und Halterungen auf Deck, sofern sie nicht abgerissen waren. Den Kompressor und den Generator konnte er ebenfalls abschreiben, das Wasser hatte die Elektrik zerstört und war in die Kugellager eingedrungen; vielleicht ließen sich Teile daraus ausbauen, reinigen und wieder verwenden, aber das brachte ihn nicht viel weiter.
    Die Seilwinde hatte als Einzige nicht viel Schaden genommen, eine Ecke war eingedrückt, aber die Kurbel schien gerade und intakt, und die Zahnräder waren nicht verkeilt.
    Das Unglaublichste aber war – und bei diesem Anblick stiegen ein paar Sekunden lang keine Bläschen aus Jordis Atemmaske auf –, das Unglaublichste war, dass das Arbeitsboot mit seinen rund acht Tonnen Gewicht ziemlich genau viereinhalb Meter neben dem alten Auto aufgeschlagen war, es war gesunken und hatte sich exakt den Parkplatz neben dem Bugatti ausgesucht; regelrecht in den Grund gerammt hatten sich die achteinhalb Tonnen, und das Auto daneben hatte keinen Kratzer abbekommen – das hieß, es war verrottet und halb zerfallen wie zuvor, seine beiden Räder sahen vorwitzig aus dem Schlamm wie zuvor, und darum herum waren die Konturen des Karosserierahmens zu ahnen wie zuvor, und egal, was es sonst noch zu bergen gab, das Arbeitsboot hätte die einmalige Chance gehabt, es ein für allemal platt zu machen, hatte sie aber im letzten Moment nicht genutzt.
    Jordi war wahrlich nicht der Typ, den Ereignissen eine metaphysische Bedeutung anzudichten. Einen transzendenten Sinn zu konstruieren, eine Botschaft des Universums in Krankheiten, Unfällen und Begebenheiten zu erkennen, die einen selbst oder andere betrafen, oder gar Signale des eigenen Inneren, die es zu entschlüsseln galt. Trotzdem war es natürlich ein ungeheurer Zufall, dass das Achteinhalbtonnenboot a) überhaupt gesunken war und b) den zierlichen Bugatti nicht einmal gestreift hatte. Ungefähr dreieinhalb Minuten lang geriet Jordi in Versuchung: hieß das nun a) der Unfall war eine Warnung und es wäre besser, die Bergung aufzugeben, oder hieß es b) wenn du so langsam weitermachst, passieren noch mehr Dinge, also trödele nicht herum, sondern beeile dich gefälligst ein bisschen. Das wären aber zwei diametral entgegengesetzte Botschaften, entgegengesetzter ginge es nicht, und wie sollte er herausfinden, was gemeint war? Konnte das Universum nicht deutlicher sprechen, oder hielten sie – es! es? – ihn für intelligenter als er war, und er war tatsächlich zu doof, ihre – seine! seine? – Sprache zu verstehen? Die Sprache des Universums. Den Sinn halt. Es war genau die Art von unentscheidbaren Alltagsfragen, über die Leute zuerst verwirrt, dann zwanghaft und am Ende Dauerpatienten der Psychiatrie wurden. Manche wurden auch religiös.
    Jordi rief sich selber zur Vernunft. Er dachte an Luca, und er dachte an den Freitagabend, an dem Luca ermordet worden war. Der Mord, der mitten in einer Karnevalsnacht geschehen war, hatte genauso wenig Sinn wie die Havarie seines Bootes. Es hieß nichts, es bedeutete nichts. Es bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass ständig Dinge passierten, die wir nicht verstanden und nie verstehen würden, und dass das Leben letztendlich nichts anderes wäre als ein einziges Sichaufbäumen gegen all das, was geeignet war, uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen und uns glauben zu machen, dass unsere Existenz vergeblich und wertlos war. Das war sie zwar, womöglich, aber der Trick war doch am Ende, es genau so nicht aussehen zu lassen, sondern sich das bisschen Mutterwitz und Würde zu bewahren, damit das Zusammenleben mit anderen wenigstens für manche Strecken leicht und fröhlich wäre. Damit wir gerne am Leben wären und jeder von uns ein

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